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Zum Tod von Jessye Norman: Mit dem Mut und der Kraft einer Diva

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In den vergangenen Jahren trat Norman nur noch selten auf. Einen dieser raren Auftritte hatte sie im Juli 2013 in Washington beim Marsch auf das Kapitol für Jobs und Freiheit.
In den vergangenen Jahren trat Norman nur noch selten auf. Einen dieser raren Auftritte hatte sie im Juli 2013 in Washington beim Marsch auf das Kapitol für Jobs und Freiheit. © rtr

Zum Tod der Sopranistin Jessye Norman, die 74-jährig in New York gestorben ist.

Die New Yorker Met, an der sie in rund 80 Aufführungen sang, widmete ihr gestern Abend die „Porgy and Bess“-Vorstellung. Andere werden sich eher die „Vier letzten Lieder“ aufgelegt haben oder „Fidelio“ in der von Bernhard Haitink dirigierten Aufnahme vom Ende der achtziger Jahre, auf der Leonore den großen Satz – von dem man bis dahin gar nicht wusste, wie groß er war – „Ich habe Mut und Kraft“ so sagt, dass es für immer ist und für alle, die jemals Mut und Kraft brauchen. Auch herb und rauchig sagt sie ihn. Das ist die Leonore von Jessye Norman, und zu Mut und Kraft kommt die Hingabe. Das Cover zeigt die Heldin im operesken Hosenrollenkostüm, Generationen von Opernhörern kommen so seit 1990 gar nicht auf die Idee, dass es ungewöhnlich sein könnte, eine schwarze US-Amerikanerin auf einer Opernbühne zu sehen.

Jessye Norman bestand auf ihrer Freiheit, tun, das heißt also singen zu können, was ihr und ihrem ungewöhnlichen, großen, aber in Rollenfächer nicht so leicht einzusortierenden Sopran behagte. Dass das keine Selbstverständlichkeit war, war ihr bewusst. Immer wieder, so 1983 im Gespräch mit der „New York Times“ bezog sie sich respektvoll zurück auf die Sängerinnen, die ihr den Weg bereitet hatten, allen voran Marian Anderson, Mitte der fünfziger Jahre die erste schwarze Sängerin, die an der Met auftrat. „Das gab mir die Möglichkeit zu sagen: ,Ich werde französische Opern singen‘ oder ,Ich werde deutsche Opern singen‘, anstatt, dass mir gesagt wurde: Du wirst ,Porgy and Bess‘ singen.“ Vorurteile auszuräumen, dauere allerdings lange, es dauere länger, als ein Gesetz zu ändern. Sie selbst, erklärte Jessye Norman, empfinde ihr „Schwarzsein nicht als Problem. Ich finde, es sieht eher schön aus“.

Jessye Norman: geboren Georgia, studiert in Washington, Karriere in Berlin

Im September 1945 kommt sie im Bundesstaat Georgia zur Welt, in der musikalischen Familie einer Lehrerin und eines Versicherungsagenten beginnt sie früh, selbst im Gospelchor zu singen. Sie nimmt ein Studium in Washington auf, an der Howard University für Afroamerikaner. Ihre Stimme weckt Aufmerksamkeit, aber ihre große Karriere nimmt in Europa Schwung: zunächst in Berlin, später lebt sie in London.

Beim Interview 2009: Jessye Norman an der Jessye Norman School of the Arts in ihrer Heimat Augusta, Georgia, hier nicht als Diva, sondern als Unterstützerin des Nachwuchses.
Beim Interview 2009: Jessye Norman an der Jessye Norman School of the Arts in ihrer Heimat Augusta, Georgia, hier nicht als Diva, sondern als Unterstützerin des Nachwuchses. © dpa

1969 debütiert sie als Elisabeth im „Tannhäuser“ an der Deutschen Oper Berlin, ein auch für sie erstaunlicher Vorgang – erst ein halbes Jahr zuvor hat sie begonnen Deutsch zu lernen, ihre Diktion aber galt immer als sensationell. Der Vertrag, den sie stante pede angeboten bekommt, bringt sie in das erste und einzige Festengagement ihres dafür auch nicht geeigneten Sängerinnenlebens. Zu eigenwillig ihre Wünsche, zu eigenwillig ihre Stimme (Schubladen, so eine berühmte Norman-Wendung, seien für Socken da), zu groß ihre Entschlossenheit, die Beste zu sein. Dass sie das musste: bitter. Dass es ihr gelang: grandios.

Jessye Norman: Vom Jazz bis zum Spektakel

Bald trat Jessye Norman nicht nur als Jazzerin auf, sondern sah sich zuweilen auch im U-Fach um oder ließ sich auf Spektakel ein – ein typisches, schaurig und großartig zugleich: ihr Auftritt bei den 200-Jahr-Feiern zum Sturm auf die Bastille in Paris 1989, die Sängerin in ein enormes Trikolorenkostüm gehüllt und die „Marseillaise“ singend. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie exklusiv und intensiv sie ihre Rollenwahl als ernsthafte Sopranistin gestaltet hatte.

Trotz ihrer Erfolge etwa als Sieglinde oder mit einem vielgerühmten Liebestod Isoldes wurde Norman weder eine dauerhaft gebuchte Wagner-Sängerin – das Hochdramatische war gar nicht so sehr ihr Fall – noch machte sie sich im italienischen Fach unentbehrlich. Stattdessen sang sie Meyerbeer (als Meyerbeer noch viel weniger in Mode war als heute), Berlioz, Bartók (Judith im „Blaubart“) oder Richard Strauss (Ariadne).

Jessye Norman: Eine Seltenheit unter den den großen Opernstimmen

Undivenhafte, antidivenhafte Akribie muss ihre Rollenvorbereitungen begleitet haben, was die musikalische und rein inhaltliche Seite betrifft. Dazu passt, dass sie eine hochgeachtete Liedsängerin wurde, eine Seltenheit unter den großen Opernstimmen. Ihre Strauss-Lieder waren immens erfolgreich. Die Stimmbeherrschung, die Fähigkeit, das Volumen ins gepflegte Piano zu bekommen (nicht zu pressen), zeigte sich hier in den gelungenen Momenten. Wer gleichwohl vor dem mitschwingenden Pathos, der Hingabe und schieren Opulenz womöglich trotzdem etwas zurückschreckte – vielleicht durch eine Gundula-Janowitz-Prägung, jenen engelhaften Purismus, der Jessye Norman fremd ist –, konnte doch die Schönheit der Stimme und die sorgfältige Durcharbeitung kaum leugnen. Sie sang Satie, Debussy, Duparc und Ravel, Mahler, Brahms, Schumann, Berg und Schönberg.

Eine Diva hingegen war sie im Umgang, berüchtigt ihre Zornausbrüche und Kapricen. Die Opernbühne verließ Norman schon früh zugunsten von Aufnahmen und Konzerten. Die Weigerung, auch die Unfähigkeit, sich an den Betrieb anzupassen, mögen dafür ebenso Gründe gewesen sein wie die Unlust gegenüber optischen Erwartungen. Dazu natürlich die vielfältigen Möglichkeiten, die ein singender Star hat.

Jessye Norman und der Rückzug aus der Öffentlichkeit

Seit Jahren trat Jessye Norman insgesamt nur noch selten, schließlich gar nicht mehr auf. Zum 70. Geburtstag 2015 erschienen ihre Memoiren, die auf Englisch „Stand Up Straight and Sing“ (Stell dich gerade hin und sing) heißen und in der deutschen Ausgabe ironischerweise „I Sing the Music of My Heart“. Diese Wende ins wirklich Liebe und Schnulzige erzählt vielleicht auch von einem Missverständnis oder zumindest dem Wunsch des Publikums, die Diva leichter zu verstehen. Sie selbst gab selten Interviews, wenn doch, fielen sie nicht selten schnippisch aus.

Im Alter von nur 74 Jahren ist Jessye Norman am Montag (Ortszeit) in einem New Yorker Krankenhaus gestorben. Ursache dafür, hieß es am Dienstag, seien ein septischer Schock und Multiorganversagen infolge von Komplikationen nach einer Rückenmarksverletzung gewesen, die sie 2015 erlitten hatte.

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