Ja, Panik im Mousonturm: Was alles dringlich ist

Gesellschaft und Gefühlswelt in Austrodenglisch: Ja, Panik im Frankfurter Mousonturm
Wir sind die Gruppe Ja, Panik“: Seit langem schon ist das die ständige Grußformel des Sängers, Gitarristen und Textdichters Andreas Spechtl – auch an diesem Abend im Frankfurter Mousonturm. Die Gruppe, das ist an sich ein Sprachgebrauch aus den sechziger und siebziger Jahren. Im vergangenen Jahr nun hat das 2005 im Burgenland gegründete und heute in Berlin ansässige Quartett ein Album mit dem Titel „Die Gruppe“ herausgebracht. Die Gruppe, haben sie erläutert, stehe in Abgrenzung von dem gebräuchlichen „Band“ für einen Verbund Gleichgesinnter. Wobei Andreas Spechtl der Dreh- und Angelpunkt auf der Bühne ist.
Der Einzelne und der Kapitalismus – oder anders gesprochen: die Verbindung von Gesellschaft und Gefühlswelt –, das ist das Leitthema der Protagonisten der zweiten Generation des Diskurspops nach der Hamburger Schule um Blumfeld und Tocotronic in den neunziger Jahren.
Jeder Auftritt von Ja, Panik ist eine Wucht. Die Songs vom jüngsten Album wie die älteren klingen noch einen Tick rauer und dringlicher. Zur Stammbesetzung um Spechtl und den Bassisten Stefan Pabst, die Keyboarderin und Rhythmusgitarristin Laura Landergott und den Schlagzeuger Sebastian Janata kommt Rabea Erradi von der Band Die Heiterkeit an Altsaxofon und Synthesizer; in der Zugabe gesellte sich kurz das Gründungsmitglied Christian Teppo als Chorsänger hinzu.
Der Sound ist – in Maßen – „elektronischer“ geworden, nicht im Sinne etwa des Synthiepops der achtziger Jahre, eher in einer Vintageweise, mit ostinaten Analogsynthieriffs. Gleichfalls Vintage ist die glückreiche Wiederbelebung der in den neunziger Jahren verbreiteten grafischen „Visuals“. Davon abgesehen gilt das stilbewusste Prinzip: schlicht die Lieder, eines auf das andere, ohne großen Ansagenschmus.
Furios und ausgefuchst
So brachial der Sound in vielen Songs, so detailbewusst die Arrangements. Und Andreas Spechtl legt sich einmal mehr ungeheuer ins Zeug, im Gesang, im furios ausgefuchsten Gitarrenspiel und in einer expressiven Körperlichkeit. Das weckt Assoziationen an Rio Reiser wie auch den frühen Peter Hein, der mit seiner Band Die Fehlfarben von fern als ein Ahnherr grüßt. Nach dem Ende des klassischen Protestsongs drückt sich in diesen Liedern eine Dissidenz aus.
Es ist ein Schweben von außerordentlicher Suggestivkraft in der Musik wie in den vertraut austrodenglischen Texten Spechtls, einer Songpoesie, die sich durch Deutungsoffenheit auszeichnet. Zu der Möglichkeit, viele der (größtenteils zuvor entstandenen) Texte auf ,,Die Gruppe“ mit Blick auf die Pandemie bezogen auszulegen, hat Spechtl in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ gesagt, alles, was wir gerade als krisenhaft wahrnehmen, habe sich ohnehin schon über die letzten fünf, sechs, vielleicht auch zehn Jahre aufgebaut. ,,Neu ist nur das Virus, nicht aber die Probleme, die es freigelegt hat.“