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Ivo Pogorelich spielt wieder Chopin – Schnell kann jeder

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Von: Stefan Schickhaus

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Ivo Pogorelich, immer für einen Aufreger gut. Foto: Andrej Grilc/Sony Music
Ivo Pogorelich, immer für einen Aufreger gut. © Andrej Grilc/Sony Music

Ivo Pogorelich legt Chopin unter die Zeitlupe – und wenn es mal quälend wird, ist es ihm gerade recht.

Einen Exzentriker an den Tasten nennt man nicht jenen Pianisten, der denkbar schnell spielt. Das ist ein Virtuose, und davon gibt es genug. Nein, als exzentrisch wird gerne bezeichnet, wer sich Zeit lässt. Langsamkeit fällt auf, schnell kann jeder. Wenn Valery Afanassiev seinen Schubert ins Unermessliche dehnt, wenn Tzimon Barto französische Clavecinisten bis zur Zeitlosigkeit entschleunigt, hat das Schockpotenzial. Und auch wenn Ivo Pogorelich Chopin unter die Zeitlupe legt, ist ihm Aufmerksamkeit und Aufgeregtheit gewiss, damals wie heute.

Ein Aufreger war er ja schon immer, dieser kroatische Pianist, dessen Karriere 1980 einen Schub bekam, weil er es nicht in die Finalrunde des Warschauer Chopin-Wettbewerbs schaffte. Juroren wie Nikita Magaloff und Paul Badura-Skoda, Jurorinnen wie Martha Argerich protestierten, Letztere verließ gar das Gremium, weil sie sein Genie nicht gewürdigt sah. Geschichten wie diese sind natürlich ein idealer Nährboden, auf dem Pogorelich und sein gegen alle Konventionen gebürsteter Interpretationsstil dann auch prächtig gediehen. Und ja, die Pogorelichs, Bartos und Afanassievs sind das Salz in der Suppe.

Chopin in Extrembefragung

Das Album

Ivo Pogorelich: Chopin. Sony Classical.

An Chopin hatte sich Pogorelich seitdem immer wieder abgearbeitet, allerdings nicht auf CD. Da dauerte es doch geschlagene 20 Jahre, bis er sich jetzt wieder auf eine Aufnahme einließ. Und die zeigt: Das Enfant terrible ist zwar älter geworden, aber nicht von seiner Grundhaltung abgerückt, dass der polnisch-französische Klavierromantiker für eine Extrembefragung prädestiniert ist.

Mit der dritten Klaviersonate, der f-Moll-Fantasie und zwei Nocturnes hat sich der 63-Jährige Spätwerke Chopins vorgenommen. Und gleich bei den Nocturnes lässt er sich Zeit, ewig viel Zeit. Wo andere auf fünf Minuten kommen, kommt er auf sieben – wobei er meistens die Spannung zu halten imstande ist, nicht zuletzt dank seiner einfach erstklassigen Anschlagskultur. In der Sonate werden die Dehnungen und Zerklüftungen dagegen mitunter schwer erträglich, aber das sollte ganz in seinem Sinne sein, schließlich – so der Pianist – habe „hohe Kunst“ die Eigenschaft, „grausam zu sein, auch zu mir“. Betonung auf: auch.

Extreme Tempi sind das eine Pogorelich-Erkennungsmerkmal, ein mitunter geradezu brutaler, betont ungeschmeidiger Zugriff ein anderes: Chopin brutal, das ist jedenfalls eine recht irritierende Hörerfahrung. Im Booklet wird dazu eine Art „Verteidigungsschrift“ gleich mitgeliefert, sehr schön formuliert und argumentiert von der Autorin Katharina Hirschmann: Pogorelich mache sich, heißt es da etwa, „auf die Suche nach Seiten, die den Komponisten selbst womöglich gar nicht klar waren und rückt ihre Musik so stets in ein neues Licht“.

Und dann: atemberaubend

Natürlich ist Pogorelichs Spiel manieriert, manchmal mäandert es komplett ziellos oder attackiert mächtig haltlos. Dann aber gibt es wieder schlichtweg atemberaubende Momente, etwa die Nocturne-Schlüsse, in denen der Kroate fast an den Anschlags-Sensibilissimus Barto herankommt. Dass die CD nur 65 Minuten läuft, schadet gar nicht. Zu viel Salz ist nicht gesund.

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