hr-Sinfoniekonzert – Ein Pariser in Amerika
Das hr-Sinfonieorchester spielt in der Alten Oper Frankfurt ein komplett französisches Programm mit Debussy, Camille Pépin, Poulenc und Varèse.
Das hr-Sinfoniekonzert bescherte ein frankophones Programm, das 130 Jahre umfasste. Von Claude Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“ (1892) bis zu Camille Pépins „Les Eaux célestes“ (2022), das als Uraufführung geboten wurde. Dazwischen Francis Poulencs Konzert für zwei Klaviere und Orchester von 1932 und Edgard Varèses „Amériques“ in der reduzierten Fassung, die 1927 entstand.
Wären nur die beiden Außenposten der Zeitachse zu hören gewesen, hätte der Eindruck einer nahezu stehengebliebenen Zeit nahe gelegen – so wenig Entwicklung vermochte man zwischen der Kreation der 1990 geborenen Komponistin und dem 128 Jahre älteren Kollegen zu erkennen. Der blasse Charakter, teilweise in gefälliger Minimal-Formatierung und pastelligen Tonfarben, zeigt wenig Erkundungsdrang, war perspektivisch begrenzt und gegenüber der fragmentarischen und offenen Dramaturgie Debussys gar rückläufig.
Francis Poulenc bot mit seinem Doppelkonzert den damals von ihm gepflegten lockeren neoklassizistischen savoir-vivre-Ton. Angetrieben von dem perfekt agierenden Solisten-Brüderpaar Lucas & Arthur Jussen, das den Music-Hall-Aspekt im behänden und gewitzten Tonsatz stärker machte als die barsche Aufnahme, die der Komponist selber 1958 zusammen mit Jacques Février zustande brachte. Poulencs Härte und Biss waren jetzt mehr spielerischem Witz gewichen. Alain Altinoglu, der das hr-Konzert leitete, war in seiner Diktion knapp und punktgenau. Debussys faunischer Nachmittag war durch stark herausgestrichene Holzbläser bestimmt, wirkte weniger zerklüftet aber auch weniger luftig, als es oft zu erleben ist.
Was einst skandalös war
Das zentrale Konzert-Ereignis war „Amériques“, jenes einstige Skandalstück, das man in der Anfangszeit Eliahu Inbals als hr-Orchesterchef schon einmal erleben konnte. Damals, vor fast 50 Jahren noch im Großen Sendesaal, gab es Missfallensbekundungen ob der geräuschklanglichen Zumutungen dieses tosenden Brutalismus’. Im Großen Saal der Alten Oper war das nachgewachsene Publikum nun begeistert. Varèses metropolitanes Pendant zum heidnischen Frühlingsopfer Igor Strawinskys kam durch das hr-Sinfonieorchester und das überlegene Dirigat Altinoglus in einer so brillanten, hell timbrierten und schneidenden Selbstverständlichkeit zur Geltung, dass ihm fürderhin der Rang eines Paradestücks sicher ist, wie er sonst nur einem „Bolero“, einer „Alpensinfonie“ oder einem „Heldenleben“ gilt.
Als Video-on-Demand auf www.hr-sinfonieorchester.de