Hélène Grimaud in der Alten Oper Frankfurt: Kein Wiegenlied

Die Pianistin Hélène Grimaud, vehement in der Alten Oper Frankfurt.
Hat Ferruccio Busoni bei seiner Bearbeitung der d-Moll-Chaconne für Violine solo von Johann Sebastian Bach tatsächlich eine solch grobsinnliche Fassung für Klavier solo geschaffen, wie sie jetzt unter den Händen von Hélène Grimaud in der Alten Oper zu hören war? In der Abonnementsreihe „Große Interpreten“ von Pro Arte hatte die Pianistin das Zentralwerk der Bachschen Violin-Kunst, wie es sich der deutsch-italienische Komponist und Klaviervirtuose 1893 auf den Leib schrieb, an den Schluss ihres Konzerts gestellt.
Gäbe es nicht eine 1915 produzierte Aufnahme Busonis mit seiner Bearbeitung, die mit einer damals gerade entwickelten Speicher- und Abspieltechnik die beschränkten Ergebnisse der Welte-Mignon-Walzen hinter sich ließ – man hätte am Nimbus Busonis als eines höchst verfeinerten Künstlers zweifeln müssen. Die 108 Jahre alte Aufnahme dokumentiert aber eine Geschlossenheit, die staunen macht, den Radius des geigerischen Kosmos’ auf dem Klavier gewaltig erweitert und doch dessen strenge Intensität bewahrt. Im Großen Saal dagegen kreiste ein Klang-Klumpen, der vielleicht so etwas wie orchestrale Fülle suggerieren sollte, auf jeden Fall aber das Verausgabungspathos tastenwühlender und -hämmernder Stakkatos erbrachte. Von Busonis Idee einer „Jungen Klassizität“ blieb das weit entfernt.
Brahms auf dem Rückzug
Nachvollziehbarere Vehemenz hatte Grimaud an den Tag gelegt bei den „Sieben Fantasien op. 116“ von Johannes Brahms aus dem Jahr 1892, denen sich ohne jegliche Unterbrechung die Chaconne angeschlossen hatte. Im Vergleich mit den vor der Pause gespielten Brahms-Intermezzi op. 117 extravertiertere Gebilde, die ihre Selbstbezüglichkeit im Kontext des sich zurückziehenden, damals 60-jährigen Komponisten wahren konnten. Auch bei den Intermezzi war das so, wenngleich das Wort des Komponisten vom „Wiegenlied meiner Schmerzen“ und die Bemerkung des Brahms-Adepten Eduard Hanslicks vom „Brevier des Pessimismus“ in der Diktion der Pianistin unverständlich bleiben mussten.
Stärker als oft erlebbar war das Aufgebrachtsein in Beethovens E-Dur-Sonate op. 109. Wobei die heftige Sechzehntel- und Trillerumklammerung der ruhig schreitenden Hymnik in der sechsten Variation des letzten Satzes am stärksten auffiel.