Und ein guter Scherz am Rande
Das elektroakustische Duo Mouse on Mars behauptet sich auch mit seinem neuen Album ganz vorne.
Rekordträchtige mehr als vierzig Gastmusiker vermeldet die Plattenfirma auf einem Sticker. Im Falle von Mouse on Mars und ihrem neuen Album „Dimensional People“ geht es indessen keinesfalls um eine Starparade. Eher schon kommt einem das auf Joseph Beuys zurückgehende Wort von der „sozialen Skulptur“ in den Sinn. Eine große Zahl von musikalischen Impulskräften unter der Regieführung des ursprünglich aus Düsseldorf und Köln stammenden und inzwischen in Berlin ansässigen elektroakustischen Duos – dieser Grundgedanke geht in einer frappierenden Manier auf.
Auch im 26. Jahr des Bestehens behaupten Mouse on Mars nach wie vor eine Position ganz weit vorne, wenn es um Erkundungen des musikalisch Ungeahnten geht. Noch nie hat eines ihrer Alben wie das andere geklungen. Zwischenzeitlich hatten Andi Thomas und Jan St. Werner mit Songstrukturen experimentiert und als Von Südenfed gemeinsam mit dem Anfang des Jahres verstorbenen Mark E. Smith von The Fall Grandioses eingespielt. „Dimensional People“ aber ist geprägt durch eine Offenheit der Form. Jede erdenkliche Volte scheint möglich zu sein, zu einer geschmäcklerischen Beliebigkeit indes führt das nicht.
Gleich zu Beginn, im ersten der drei Teile der Suite „Dimensional People“, trifft ein Jazzsaxofon auf eine hibbelig perkussive minimalistische Textur. Da geht es nicht um eine wohlfeile „Verschmelzung“, vielmehr bleiben beide Seiten bei sich. Gerade deshalb entsteht etwas von eigenem Recht. Ein offenkundiger Leitgedanke, der sich durch die zwölf Stücke zieht, die eine Dreiviertelstunde – eine Nummer in die andere übergehend – durchlaufen.
Ein Gutteil der Aufnahmen mit ihren Gästen haben Mouse on Mars am Rande von Justin Vernons „Eaux Claire Festival“ im Sommer vergangenen Jahres in Wisconsin gemacht. Selbiger Justin Vernon (von Bon Iver), die Ausnahme-Rapper Amanda Blank und Space Rock, die Brüder Dessner von The National, Zach Condon von Beirut – jeder ist auf seine ganz eigene Weise in die Loops und Beats von Thoma und Werner eingestiegen.
Der Charakter, der sich beim Hören vermittelt, ist der von Jams. Ihn zu bewahren ist Thoma und Werner gelungen, auch wenn sie die Aufnahmen hernach monatelang im Studio in Berlin bearbeitet haben. So stetig sich das Klangbild auch innerhalb der einzelnen Nummern immer wieder wandelt, das Resultat wirkt im Sinne eines großen dramaturgischen Bogens in sich geschlossen.
Manchmal ist das Klangbild ambienthaft flächig, dann tragen Banjo oder Fiddle einen Moment von Folk oder Country herein oder man fühlt sich an den Art-Rock der frühen siebziger Jahre erinnert. Es tauchen verschiedene Blasinstrumente auf und die Streicher vom Ensemble Musikfabrik. Das Stück „Daylight“ beginnt mit einer westafrikanischen Perkussion über dem Naturgeräusch von einem Froschteich, spacige Sounds mischen sich mit rhythmischen Einsprengseln von Beach-Boys-Vokalharmonien. Im finalen „Sidney in a Cup“ gibt der 75-jährige US-amerikanische Soulveteran Swamp Dogg den launigen Rezitator seiner eigenen Lebenslegende, mit einem Hauch von Gospel in einem Dub-Umfeld.
Die musikhistorischen Zeugen zu diesem Wunderwerk sind Sun Ra und John Coltrane, Karlheinz Stockhausen und Can. Der Puls des Afrobeats spielt eine Rolle, Reggae und Dub desgleichen, jedoch handelt es sich mitnichten um Tanzmusik. Es geht vielmehr um Kontemplation. Instrumente und Stile treten auf wie auf einer Theaterbühne. „Neuer konstruktivistischer Sozialismus“ lautet das schillernde Schlagwort, das Andi Thoma und Jan St. Werner diesem unerhörten Mouse-on-Mars-Album beigegeben haben. Es sei dahingestellt, wie ernst das zu nehmen ist – von den beiden ist bekannt, dass sie für einen guten Scherz am Rande immer zu haben sind.
Mouse on Mars: Dimensional People. Thrill Jockey/Rough Trade.