Grigory Sokolov in Frankfurt – Im Zauberkreis der Triller

Grigory Sokolov spielt Purcell und Mozart in der Alten Oper Frankfurt.
Mit kühner Untertreibung tritt der russische Pianist Grigory Sokolov in diesem Jahr an. Er spielt im ersten Teil des (über Monate ja immer völlig oder fast gleichen) Programms Cembalo- und Spinettmusik von Henry Purcell. Im zweiten Teil folgt Mozart, aber nur eine knappe halbe Stunde lang, damit Zeit bleibt für die sechs Frankfurter Zugaben von Rameau, Chopin, Rachmaninow (kurz als Tastenlöwe), Bach (in Alexanders Silotis Bearbeitung). Es geht wie am Schnürchen, nicht wie an der Schnur, so leicht und behände und auch schlicht sind die Purcell-Stücke und -Stückchen.
Die Witwe, liest man, hatte sie nach seinem Tod als Übungsbuch veröffentlicht. Das Wunder des Kontrapunkts wird geruhsam probiert und gefeiert. Sokolov trillert sich nicht einmal überexakt hindurch, aber die Souveränität, mit der er die Stimmen plastisch nebeneinander herspringen und schlendern lässt, ist unwiderstehlich. Dazu kommt dieser unfassbare leichte Anschlag aus diesem großen Körper.
Purcell experimentiert mit Folklore und Tänzerischem, mit Kreiselbewegungen und gepflegten dreisätzigen Suiten. Eine Musique d’ameublement, wie sie erst mehr als 200 Jahre später offiziell benannt wurde und wie sie fast 300 Jahre später beim Friseur läuft, wieder völlig anders natürlich. Aber man begreift, dass Henry Purcell (1659-1695) einmal ein Zeitgenosse war. Nur ein Meister kann es sich leisten, damit zum Pro-Arte-Konzert im Großen Saal der Alten Oper anzutreten, und nur einem Meister wird es gelingen, das Publikum damit zu bezaubern. Man hat gleichwohl auch Zeit, auf die Lebensdaten von zwei Genies zu starren, die beide mit Mitte 30 starben.
Wolfgang Amadeus Mozarts Klaviersonate Nr. 13 B-Dur KV333 wirkt anschließend naturgemäß immens modern, mit ganz anderen Möglichkeiten ausgestattet. Und sein Adagio h-Moll KV540 ist in diesem Rahmen vorromantische Zukunftsmusik. Beide Teile des Abends handeln in Sokolovs Spiel aber von der Unerbittlichkeit fortschreitender Musik, mag sie noch so sanft daherkommen.
Die vertraute Liturgie
Konzerte mit Sokolov, seit April 73, haben einen liturgischen Anteil, die gemessenen, aber unverzierten Auftritte und Abgänge, das immer gleiche Verbeugeritual, einmal etwas näher am Flügel, dann noch einmal einen Schritt zurück, dann ein leichtes Sich-Abstoßen vom Instrument. Alternativ dazu gleitet Sokolov zurück auf die Bank, um unversehens eine weitere der stets sechs Zugaben zu spielen. Verfrühter Applaus (zwischen den Mozart-Werken), ein seltener Fauxpas in einem Sokolov-Programm, wird mit einer Verbeugung zwischendurch beantwortet, noch knapper als sonst, hoffentlich schämen sich die Unaufmerksamen dafür.
Auf Sokolov hingegen ist Verlass. Am 14. Juli spielt er beim Rheingau Musik Festival in Wiesbaden, für den 28. Mai 2024 ist er wieder für die Alte Oper angekündigt.