1. Startseite
  2. Kultur
  3. Musik

Grateful Cat aus Berlin: „Stray With Me“ –Musikalische Fan-Fiction

Erstellt:

Kommentare

Grateful Cat: Gwendolin Tägert (l.) und Franky Fuzz. Foto: Endai Hudl
Grateful Cat: Gwendolin Tägert (l.) und Franky Fuzz. Foto: Endai Hudl © Endai Hudl

Die Pop-Nerds aus Kreuzberg: Grateful Cat überraschen und entzücken mit dem handgestrickten Debüt-Album „Stray With Me“. Von Jens Buchholz

Es gibt viele Möglichkeiten, ein Kunstwerk zu interpretieren. Wenn eine Band sich Grateful Cat nennt, dann ist das ein Winken mit dem Referenzzaunpfahl. Grateful Cat ist natürlich eine Anspielung auf die Hippie-Musik-Legenden von Grateful Dead. Die Songs auf dem Debüt-Album „Stray With Me“ von Grateful Cat klingen erwartungsgemäß nach den folkigen Sechzigern, den britischen Dreampopbands der späten Achtziger und dem Britpop der neunziger Jahre. Es gibt keine Keyboards oder ähnlichen Schnickschnack. Nur Gitarre und Bass mit Röhrenverstärkersound, schlichtes Schlagwerk, ein bisschen Orgel und satten mehrstimmigen Gesang wie bei den Byrds, den Beatles oder dem Teenage Fanclub. Und selbst das Cover wirkt wie eine Fotografie, die auch auf den frühen Dylan- oder Beatles-Alben das Cover hätte zieren können.

Grateful Cat sind die Kreuzberger Musikerin Gwendolin Tägert und ihr Kollege Franky Fuzz. Aufgenommen haben die beiden ihr Debüt-Album mit einfachsten Mitteln an Franky Fuzz’ Küchentisch. Damit die Küchenkacheln keinen Hall erzeugen, haben die beiden sie mit Pullovern abgehängt. Diesen gemütlichen Wohlfühl-Aufnahmeprozess hört man den Songs an. Sie verwöhnen die Hörerseelen mit der wohligen Wärme eines original Kreuzberger Altbau-Küchen-Gasherdes.

An dieser Stelle kommt eine weitere Art Popmusik zu deuten ins Spiel, nämlich die biografische. Tägert und Fuzz sind zwei Drittel des durch seinen Corona-Song „Wir sehen uns später“ bekannt gewordenen Trios Cremant Ding Dong. Die Songs von CDD entstehen ebenfalls in einer Küche, nämlich der Küche der Wohngemeinschaft, in der Gwendolin Tägert wohnt.

Mittelpunkt jedes Videos von Cremant Ding Dong: die WG-Katze, die durch die Videos streunt. Vielleicht kamen Tägert und Fuzz ja so auf den Bandnamen Grateful Cat? Der Küche ist konsequenterweise eine eigene Nummer auf dem Album gewidmet, „In My Kitchen“. Ein Song, der klingt, als wäre er dem berühmten C86-Tape des „New Musical Express“ entnommen, nur besser irgendwie. Franky Fuzz zeigt sich hier als hervorragender Sänger, der mit seiner Stimme den Sound der sechziger Jahre perfekt einfängt.

Das Album

Grateful Cat: Stray With Me. Waterfall Records.

Popmusik dieser Art wird häufig als „retro“ oder „nostalgisch“ bezeichnet. Aber solche Begriffe werden diesem wunderschönen Album nicht gerecht. Grateful Cat machen „Rebirth-Pop“ aus dem Do-it-yourself-Geist des Post-Punks, sozusagen musikalische Fan-Fiction.

„Normal Times“, der erste Song des Albums, erinnert an Velvet-Underground-Nummern wie „Candy Says“ oder „Stephanie Says“. Aber Gwendolin Tägert singt nicht wie Nico. Ihre Stimme erinnert eher an Sängerinnen wie Tracy Tracy von den Primitives oder Amelia Fletcher von Heavenly, also Dreampop-Bands, die Ende der achtziger Jahre die Britpopwelle lostraten (eine der einflussreichsten Dreampopbands hieß übrigens „Kitchens of Distinction“, aber das nur nebenbei). Der Text des Songs versetzt beim Hören aber direkt in die Gegenwart. In ihm geht es um die Sehnsucht nach der „normalen Zeit“ vor dem Corona-Lockdown.

Der absolut großartige Track „The Love Frequency“ klingt nicht nur, als hätten besagte Sängerinnen in Gestalt von Gwendolin Tägert bei der Band Teenage Fanclub angeheuert, sondern der Song dreht sich auch im Text um den Ausstieg des Bassisten Gerry Love aus genau dieser Band.

Auf „Stray With Me“ treffen sympathische Pop-Nerdigkeit und melancholische Gegenwartsdeutung aufeinander. Und man kann das Album durchaus als Aufforderung verstehen, mit der Band als Stray Cats (diese letzte Referenz konnte ich mir nicht verkneifen) durch ihre Lieblingsmusikstile zu streunen.

Auch interessant

Kommentare