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U.S. Girls: „Bless This Mess“ – Und das Geräusch der Milchpumpe

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Von: Christina Mohr

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Meghan Remy veröffentlicht ihre Experimente seit gut 15 Jahren unter dem Projektnamen U.S. Girls. Foto: Emma McIntyre
Meghan Remy veröffentlicht ihre Experimente seit gut 15 Jahren unter dem Projektnamen U.S. Girls. Foto: Emma McIntyre © Emma McIntyre

U.S. Girls aka Meghan Remy landet mit „Bless This Mess“ im Familienalltag.

Die Familiengründung bedeutet ja schon für sogenannte „normale Leute“ heftige Umwälzungen im gewohnten Leben. Neben allen Entbehrungen (Schlaflosigkeit) und dem nicht zu leugnenden Glück muss man mit der Erkenntnis klarkommen, dass man mit einer Geburt etwas unfassbar Großes geleistet hat – wie auch die Fantastillarden Menschen vor und nach einem selbst. Das kann ernüchternd sein, aber durchaus erdend.

Machen Künstlerinnen und Künstler die Elternschaft zum Thema ihrer Arbeit, staunt man nicht selten über eine bis dahin ungekannte Sanftheit in Text und Ton. Meghan Remy, die seit gut 15 Jahren unter dem Projektnamen U.S. Girls experimentelle, zwischen Soul und Avantgarde changierende Platten veröffentlicht, wurde im Lockdown Mutter von Zwillingen. Eine Doppelt- und Dreifachherausforderung sozusagen, der sich die in Illinois geborene und in Toronto lebende Künstlerin stellen musste.

Auf früheren Alben nahm Cindy-Sherman-Fan Remy oft unterschiedliche Frauenrollen ein: „Half Free“ von 2015 ist ein Konzeptalbum über die Unterdrückung der Frau von nebenan, das große Thema von „A Poem Unlimited“ (2018) ist sexuelle Gewalt – auch selbst erlebte: Remy wurde von ihrem Vater missbraucht, ein Trauma, das eventuell das bewusste Verfremden ihrer Stimme auf ihren ersten Werken erklärt. U.S. Girls’ Kunst ist jedoch nie rein introspektiv, die erklärte Feministin kommentiert in ihren Songs aktuelle politische Bewegungen, versteht sich als Teil einer Community, nicht als Ego-Shooterin.

Das Album

U.S. Girls: Bless This Mess. 4AD.

Die frische Mutterrolle bringt eine neue Wendung in ihre Musik: U.S. Girls finden sich im so kuschligen wie banalen Familienalltag wieder, was auch bei Remy nicht ohne Klischees abgeht. Der Albumtitel drückt gespielte Verzweiflung angesichts häuslicher Unordnung aus, und ist zugleich ernstgemeinter Dank an ... ja, wen? An sich selbst, das Baby, den Partner, die Natur oder gar Gott?

Der Widerspruch aus Ironie und Ernsthaftigkeit löst sich in „Bless This Mess“ nicht wirklich auf. Im Titeltrack, einer klaviergetriebenen Powerballade, singt Remy, „everyone’s a baby at the start of this run“ – Geburt (und Tod) als Gleichmacher der Menschheit, schön wär’s. Auch „Pump“, in dem Remy die Geräusche ihrer Milchpumpe sampelt, verrutscht ein wenig. Die endlos wiederholte Zeile „for you and you“ killt den so smart und groovy beginnenden Track. Auch bleibt rätselhaft, warum im countryesken „Screen Face“ verschiedene Gesangspartner zu hören sind, denn ihre eigene Stimme ist so gut, dass die anderen nur störend wirken.

Aber: Meg Remy kann gar kein schlechtes Album machen, und auch „Bless This Mess“ ist reich an Höhepunkten. Dem hin- und mitreißenden Discosong „Tux (Your Body Fills Me, Boo)“ aus Sicht eines mangels Gelegenheit ungetragenen Smokings zum Beispiel, oder „So Typically Now“, das zu suggestiven Dancebeats social-media-gesteuertes Verhalten moderner Großstädter:innen aufs Korn nimmt. In diesem Stück und auch im glamourös-souligen Opener „Daedalus“ lässt Remy die Musik sprechen, kombiniert Yacht-Rock mit HipHop, verlässt allzu heimelige Gefilde. Man darf gespannt sein, wie U.S. Girls’ nächstes Album klingen wird, wenn sich der Schleier der Verzückung gehoben hat.

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