Ein Gipfeltreffen
Andreas Scholl und Dorothee Oberlinger machen kleine Geschenke in Wiesbaden.
Als vor genau 20 Jahren Andreas Scholls Aufnahme der Bach-Kantate „Vergnügte Ruh“ auf den Markt kam, schrieb ein Musikkritiker von einer „CD für die einsame Insel“. Scholl, der auch damals schon hoch angesehene Altist, intoniere makellos und treffe „auch die höchsten Töne ohne zu quetschen. Einmal mehr erlebt man hier ein Ausnahmetalent wie Andreas Scholl auf dem Höhepunkt seiner Kunst“. Vor 20 Jahren war Scholl, der aus dem Rheingau-Ort Kiedrich stammt und mittlerweile wieder dort lebt, nahezu konkurrenzlos in diesem Fach – das hat sich geändert, ausnehmend viele herausragende Countertenöre könnte man aktuell aufzählen. Doch wenn Scholl mit seiner Leib- und Magen-Kantate „Vergnügte Ruh“ BWV170 zu hören ist wie jetzt beim Rheingau Musik Festival in der Wiesbadener Lutherkirche, bestätigt er seinen Sonderstatus. Den „Höhepunkt seiner Kunst“ hat er in diesem Genre noch nicht verlassen.
Eine kleine Spur exaltierter ist er geworden, der Bach-Sänger Scholl. Er betont das fundamentale Wörtchen „treten“ im Rezitativ „Die Welt, das Sündenhaus“ noch stärker in der Bruststimme, ein Effekt, den er 1998 deutlich dezenter gesetzt hatte. Er kostet der Dissonanzen noch genussvoller aus, legt noch mehr Wert auf Diktion, auf Vermittlung.
Der wirklich große Unterschied zur CD-Aufnahme damals unter der Leitung von Philippe Herreweghe ist: Damals präludierte, wie von Bach vorgesehen, eine Orgel zur Kantate – jetzt übernimmt Dorothee Oberlinger an der Blockflöte diese Partie, klanglich eine überzeugende Lösung. Mit Oberlinger hat sich Scholl im vergangenen Jahr zusammengetan für das CD-Projekt „Small Gifts“, Deutschlands führende Blockflötistin und Deutschlands beliebtester Alt-Sänger, ein Gipfeltreffen zweier virtuoser Gestalter.
Denn die Gestaltungskunst ist, bei aller stupenderen Fingerfertigkeit, das, was Oberlinger auszeichnet. Und einen endlosen Atem hat sie obendrein: In der Lutherkirche spielte sie das Cembalokonzert f-Moll BWV1056, das vormals wohl als ein Violinkonzert konzipiert war. Weder Geiger noch Cembalisten benötigen Atempausen, und Dorothee Oberlinger an ihrer Sopranblockflöte offenkundig auch nicht.
Ein Wort noch zum Ensemble, das schlicht „Ensemble 1700“ heißt und 2002 von Oberlinger in Köln gegründet wurde: Extrem aufmerksam und aufeinander hörend wird hier musiziert, die Musiker sind dicht vernetzt, Akzent- oder Taktgeber so gut wie unnötig. Für einen wie Andreas Scholl ist das die perfekte Begleitmannschaft: Da wird so rund und geschmackvoll, so wenig ruppig und nie überzogen agiert, mit feinen Effekten im rechten Moment, eben so, wie es seinem Stil nicht erst seit 20 Jahren entspricht.