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Elisabeth Coudoux „Earis“: Gewebe im Raum

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Von: Hans-Jürgen Linke

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Interessanteste Band der deutschen Improvisationsszene: das Emiszatett. Johann Coudoux/Kunstwerk Eva jeske
Interessanteste Band der deutschen Improvisationsszene: das Emiszatett. Johann Coudoux/Kunstwerk Eva jeske © (C)2016 Johan Coudoux

Die Cellistin Elisabeth Coudoux und ihr Improvisations-Projekt Emiszatett mit „Earis“

Bleiben wir vorsichtig, vermeiden wir Superlative: Das Emißatett, zuweilen auch Emiszatett geschrieben, ist eine der interessantesten Formationen der gegenwärtigen improvisierten Musik, egal ob in seiner eingeführten Quintett-Besetzung oder in seiner aktuell mit der Vokalistin Pegelia Gold zum Sextett erweiterten Version. So dass zunächst die Frage im Raum steht, was „interessant“ im eingeschränkten Superlativ hier bedeuten kann.

Wo ganz viel geschehen darf

Das Album:

Elisabeth Coudoux, Emiszatett: Earis. Impakt Records.

Gemeinhin bewegen sich improvisierende Gruppen in einem weiträumig abgesteckten idiomatischen Feld, in dem Klangparameter, Klangfiguren und Klangkonstellationen vorkommen, ohne gänzlich festgeschrieben zu sein; in dem vieles geschehen darf und kann, aber Etliches eben nicht geschieht. Denn zur Freiheit des Improvisierens gehört immer auch ein Respekt für ein – in der Regel ungeschriebenes – Regelsystem. Das ist beim Emiszatett nicht anders. Allerdings ist hier bisher noch niemand diesem System so recht auf die Schliche gekommen. Das hat seine Gründe – vielleicht den, dass das Emiszatett-System so viele Variablen hat. Oder vielleicht den, dass sich in dieser Gruppe der Wunsch eines und einer jeden, sich gegenseitig und sogar selbst zu überraschen, aber nicht zu übertönen, mit dem Faktor fünf – beziehungsweise, mit Pegelia Gold, sechs – multipliziert werden muss. Was die Sache mathematisch gesehen recht komplex macht.

Musikalisch wohl auch, allerdings ist hier alles überschaubarer und zugleich eindrücklicher, denn man muss ja nicht rechnen, sondern hören. Hören, wie sich aus meist fünf, manchmal sechs höchst eigenen Stimmen, Spieltechniken, Klangvorstellungen und Überraschungs-Strategien ein dichtes, dabei feines und leicht zerreißbares, aber stets vieldimensionales Gewebe bildet. Wie es zu erstaunlichen energetischen Zuständen und Prozessen kommt, wie räumlich sie klingen und sich verändern. Wie weit und musikalisch produktiv und präzise strukturiert der Zwischenbereich zwischen Musik und Geräusch sein kann. Und wie von Stück zu Stück immer wieder neue Konturen entstehen.

Gründerin und Kopf der Gruppe ist die Cellistin Elisabeth Coudoux, die sich in der Neuen Musik ebenso zu Hause fühlt wie in avancierten Jazz-Projekten. Sie firmiert als Komponistin der zwölf Stücke des Albums, aber man muss sich darunter nicht unbedingt vorstellen, dass hier Noten, die sie zuvor auf Papier geschrieben hat, umgesetzt werden. Die Spiel-Anlässe können unterschiedlicher Art sein. Es sind nicht nur Klangfarben und Dramaturgien, die sich von Stück zu Stück verändern; es ist immer wieder eher die komplette Band, die einen neuen Weg sucht. Dabei bildet sich wie von selbst eine kompakte musikalische Substanz, und ein irgendwie kollektiv produziertes Formgefühl leitet die Improvisation. Man kann diese Musik, wenn überhaupt, nur minutiös und stückweise beschreiben, am Detail und an der Verlaufsweise entlang. Und man kann ihre Subtilität und Eleganz bewundern und dann wieder neu hören.

Ach, und man kann, ohne etwas falsch zu machen, ruhig etwas unvorsichtiger sein: Das Emiszatett ist die interessanteste Band in der gegenwärtigen deutschen Improvisations-Szene.

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