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Mit einem Summen in unseren Ohren

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Von: Tim Gorbauch

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Musik als Messe: Ein kraftvolles Konzert mit Sigur Rós in der Jahrhunderthalle.

Vor etwas mehr als 15 Jahren, ganz zu Anfang ihrer wundersamen Karriere, waren Sigur Rós in Frankfurt nicht in einem der üblichen Konzertsäle zu hören, sondern in der Dreikönigskirche. Ein neogotischer Bau, mit viel Hall und Volumen – der perfekte Ort für diese damals völlig neue, radikal pathetische und zugleich auch sakral anmutende Musik aus Island. Längst sind jede Kirche, jeder Dom und jedes Münster zu klein geworden für den Ansturm, den ein Sigur Rós-Konzert auslöst. Das ist aber nicht weiter tragisch, denn der Musik von Sigur Rós wohnt die Kraft inne, jeden Raum in eine Messe zu verwandeln.

Die Jahrhunderthalle ist nahezu ausverkauft, vom Balkon aus erschließt sich im Halbdunkel ein Bild wie von Andreas Gursky erfunden. Tausende Köpfe, in andächtiger Symmetrie der Bühne zugewandt. Sigur Rós erscheinen ohne Vorband und zergliedern das Konzert in zwei Teile, von einer langen, zugleich auch etwas ermüdenden Pause getrennt. Der Bühnenaufbau ist genauso unscheinbar wie spektakulär. Eine semitransparente Leinwand, vor der die auf ein Trio geschrumpfte Band ganz nah nebeneinander steht, komprimiert die riesige Bühne zu einem Kammerspiel. Zugleich entgrenzen üppige Visuals dieses Kondensat zu einem riesigen Resonanz- und Referenzraum.

Wie in der Musik ist da wenig Konkretes zu sehen. Es ist ein assoziatives Spiel von Formen und amorphen Gestalten, die mit der Musik entstehen, wachsen und vergehen. Dieses Spiel mit Ambivalenz und Ambiguität ist seit je der Kern von Sigur Rós, das bis in die Sprache hineinreicht. Denn Jón Þór „Jónsi“ Birgisson singt nicht nur isländisch, sondern mithin auch in einer eigenen Fantasiesprache. Es ist ein eigener, zerdehnter Gesang, hoch oben im Falsett, entrückt schwebend, während darunter die Musik zwischen monströsem Klang und feinsten, zeitlupenhaften Popgespinsten wechselt.

Manches ist monströs laut. Manches, gerade im ersten Teil auch etwas langatmig. Manches, gerade im zweiten Teil, der eher eine Rückschau bietet, schlicht grandios. „Festival“ etwa, ein von einem brachial monotonen Schlagzeug getriebener Monolith, riesengroß und immer weiter wachsend. 2008 ist ‚Festival‘ erschienen, auf einem Album, das auf Deutsch so viel heißt wie „Mit einem Summen in unseren Ohren spielen wir endlos weiter“. Vielleicht ist das auch für dieses Sigur-Rós-Konzert die beste Beschreibung.

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