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Dominik Eulberg: Der Klang des Neuntöters

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Von: Arne Löffel

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Vermutlich an einem Lieblingsplatz: Dominik Eulberg.
Vermutlich an einem Lieblingsplatz: Dominik Eulberg. © Natalia Luzenko

Dominik Eulberg über sein neues Album und dessen zwölf tierische Protagonisten.

Lange hat man musikalisch nichts mehr von Ihnen gehört. Was hat Sie in dieser Zeit sonst so beschäftigt, Herr Eulberg?
Anstatt Musik zu machen, habe ich unglaublich viel für meine zweite Passion gearbeitet, die eigentlich sogar meine erste Liebe ist: für den Naturschutz. Wobei das eigentlich sogar eine anthropozentrische Hybris ist, dieser Begriff. Der Mensch muss die Natur nicht schützen, die Natur wird es immer geben. Was wir schützen, sind die Bedingungen, zu denen wir in der Natur leben können.

Mit dem Thema treffen Sie ja gerade den Zeitgeist.
Ja, das ist jetzt en vogue. Ist schon fast pervers, das so auszudrücken. Für mich war die Natur schon immer meine Lebensversicherung. Ich bin im Westerwald ohne Fernseher aufgewachsen, die Natur war immer mein Entertainment-System. Das war herrlich – so frei von der Knechtschaft des kapitalistischen Systems. Zugleich habe ich mich auch schon sehr früh, also zur Schulzeit, für elektronische Musik interessiert.

Ist das nicht widersprüchlich? Die klinische, elektronische Musik und die Naturverbundenheit?
An sich gar nicht. Die elektronische Musik basiert auf monotonen 4/4-Rhythmen, die sich schon in der Stammesmusik finden, zu denen sich Schamanen in Trance tanzen. Es gibt also kaum eine Musik, die näher an der Natur ist als die elektronische Musik. Sie ist die instinktivste Form von Musik. Und in den späten 90er Jahren mischte sich meine naturwissenschaftliche Neugier mit der Neugier auf die technischen Produktionsmöglichkeiten. Das hat ganz gut zusammengepasst. Die elektronische Musik hat klanglich keine Limitierungen, ich kann jedes Gefühl mit ihr ausdrücken.

Ein weiterer Widerspruch wäre dann aber doch das hedonistische Selbstverständnis der Raver und Ihr an sich ernstes Anliegen.
Ich habe schon früh versucht, das irgendwie zu vereinen. Natürlich ist der Rave auch ein Zufluchtsort für Eskapisten, für Menschen die kurz ihren Alltagsproblemen entfliehen wollen. Und auch ich war Teil dieser Bewegung. Aber reiner Hedonismus ist sinnlos, das war mir schnell klar. Nur Sinnhaftigkeit macht glücklich. So mache ich zum einen Fledermaus-Führungen, bin Fledermaus-Botschafter des Deutschen Naturschutzbundes, mache ornithologische Führungen oder botanische Führungen. Die Menschen hören stets sehr aufmerksam zu und ich nutze die Zeit, sie wieder klarer verstehen zu lassen wer wir sind, was unsere Heimat ist und warum wir die Natur brauchen.

Zur Person

Dominik Eulberg, geboren 1978 im Westerwald, ist DJ und Produzent. Er hat Ökologie studiert und engagiert sich für naturnahe Forstwirtschaft. 2004 war er Newcomer des Jahres der Zeitschrift „Groove“, und „Bester Produzent“ der Dance Music Awards. 2017 gründete er das Label Apus apus (lat. für Mauersegler).

Für „Mannigfaltig“, sein fünftes Album, hat sich Eulberg acht Jahre Zeit gelassen. Dabei beherrschte der außergewöhnliche Künstler viele Jahre lang die internationalen Dancefloors mit seiner Musik. Nun ist er also zurück – und wer den nächsten Schwung von Club-Hits erwartet, wird eines Besseren belehrt.

Woher kommt Ihr fundiertes Wissen über die Natur?
Wie gesagt, aus meiner Kindheit. Aber auch aus einem Biologie-Studium und vielen, vielen Stunden in der Natur. Ich habe zum Beispiel im Rahmen eines Forschungsprojektes im Nationalpark Müritz mal ein halbes Jahr ohne Strom oder fließendes Wasser im Wald gelebt. Und ich erkenne mittlerweile alle heimischen Vögel am Gesang, Tagfalter erkenne ich auch alle. Und mit Bestimmungsbüchern ist es mir möglich, so ziemlich alle Pflanzen und Insekten zu benennen. Daher biete ich auf meiner Website auch einen Bestimmungsservice an. Hier können mir User ihre Fotos von Pflanzen oder Tieren schicken, um zu erfahren, was das eigentlich ist.

Wird das genutzt?
Ja, durchaus. So alle zwei Wochen kommt da eine Anfrage. Als Musiker kann ich Menschen in einer Zahl erreichen, wo es andere schwer haben. Mir wurden auch schon Stellen als Dozent angeboten, aber da erreiche ich 20 oder 30 Studierende pro Kurs. Als Musiker kann ich Millionen erreichen. So viele Menschen sind noch nicht erwacht, was das angeht. Und Brücken zu schlagen ist für mich wichtiger als zu forschen. Viele Naturschützer sind viel zu dogmatisch, denke ich. Das schreckt die Menschen eher ab, als sie abzuholen.

Jetzt sprechen wir so viel über die Natur und noch gar nicht über Ihr neues Album.
Die Natur ist auch der Sinn meines Lebens. Ich habe mich eigentlich nie wirklich als Musiker gesehen. Das ist aber eine hervorragende Plattform. In der Zeit, in der ich keine Musik gemacht habe, habe ich mich auch ganz der Natur gewidmet. Ich habe zum Beispiel angefangen, ein Buch über die Wunder der Natur vor der eigenen Haustür zu schreiben, habe ein „Insekten-Sensiblisierungsvideo“ gemacht, Insekten wie Menschen porträtiert, einen Film über den Lebensraum Wiese mitgestaltet, mit der Firma Zeiss ein Spektiv entwickelt, sowie zeitgemäße und artgerechte Vogelfutterstationen konzipiert und betreibe aktiven Naturschutz für diverse Projekt in meiner Heimat.

Das klingt nach einem erfüllten Alltag. Warum sind Sie wieder zur Musik zurückgekehrt? Und warum eigentlich so lange Zeit davon abgekommen?
Ich habe auf die gesunde Motivation gewartet, wieder Musik zu machen. Und diese Motivation hatte ich lange nicht gefunden. Holistisch erfolgreich wird man nur dann, wenn man wirklich eine gesunde Motivation hat.

Was wäre denn eine ungesunde Motivation?
Es gibt schon viele Momente, die einen ungesund motivieren, die eine ungesunde Triebfeder sind. Das elterliche oder das gesellschaftliche Diktat etwa.

War das bei Ihnen denn der Fall?
Ich hatte es durchaus nicht immer einfach. Der Junge ohne Fernseher zu sein, der sich auch noch für Computermusik und Käfer interessiert, war schon etwas Besonderes auf meiner Schule. Es war daher hochgradig befriedigend, es als Musiker tatsächlich zu schaffen und Hits zu haben. Zum Beispiel der Moment, als die Schulleitung nach acht Jahren Profi-Musiker-Dasein anrief und mir sagte, dass sie meine Musik ja schon immer gut fanden und fragten, ob ich nicht zum Schuljubiläum auftreten könne. Das ist nun acht Jahre her. „Diorama“, das letzte Album vor „Mannigfaltig“, ist vor achteinhalb Jahren erschienen. Ich hatte mit meiner Musik viel erreicht, Muster befriedigt und mich von ihnen emanzipiert. Ich hatte das Gefühl, dass ich niemandem mehr etwas beweisen musste, keine Hit-Maschine mehr sein musste, sondern frei sein durfte, meine Motivationen und Inspirationen aus einem tiefen, intrinsischen und hoch bekömmlichen Gefühl schöpfen durfte.

Ist das der Grund, warum „Mannigfaltig“ nicht mehr so sehr auf die Tanzfläche ausgerichtet ist wie „Diorama“?
Ja, das ist auch einer der Gründe. Ich wollte mit „Mannigfaltig“ aber auch ein Album fernab der Trends machen, bei dem mein Erleben natürlicher Ästhetik und Ordnung viel mehr im Zentrum steht als der Erfolg auf der Tanzfläche. Und ich denke, dass es dadurch auch viel zeitloser geworden ist als die Sachen, die ich davor gemacht habe. Ich habe nicht mehr den Club-Hit ins Zentrum gestellt, sondern das, was auf natürliche Art und Weise aus mir herauskam. Ich wollte ein buntes Album generieren, bei dem nicht ein oder zwei Stücke der Star sind, sondern das gesamte Album in seiner Emergenz.

Und das ist die Hommage an die natürliche Ordnung?
Ich habe vor einiger Zeit bemerkt, dass unser heimische Fauna so mannigfaltig ist, dass sich sogar zu den Zahlen von eins bis zwölf namentlich eine Tierart finden lässt. Nach diesen „numerischen“ Tiernamen habe ich dann die einzelnen Tracks benannt. Der erste Track ist die Eintagsfliege, der zweite Track der Zweibrütige Scheckenfalter, der dritte der Dreizehenspecht und so weiter. Wissen Sie eigentlich, woher der Neuntöter seinen Namen hat?

Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung.
Der Neuntöter zeigt ein außergewöhnliches Verhalten: Er spießt seine erbeuteten Insekten auf Dornen auf. Und der Volksglaube besagte, dass er erst neun Opfer aufspießen würde, ehe er sie frisst. Das ist natürlich Quatsch. Der Name ist aber trotzdem geblieben.

Das ist eine schöne Idee, die Stücke so durchzunummerieren. Kann man die Natur auch in Ihrem neuen Album hören?
Entscheiden Sie selbst. Aber ich habe aus meiner Sicht diesmal mehr denn je die Gefühle eingefangen, die mein Lieblingsplatz auf der Welt in mir auslöst. Ich habe zwar auch wieder Fieldrecordings verwendet, doch war der konzeptionelle Ansatz hier eher ein indirekter. Ich habe mich phänotypisch und von der Lebensweise der zwölf tierischen Protagonisten inspirieren lassen und versucht, diese Gefühle narrativ abzubilden. Bei dem Stück „Eintagsfliege“ habe ich etwa die Metamorphose von der im Wasser lebenden Larve hin zum adulten Fluginsekt skizziert. In dem mittleren Break kann man ein aquatisches Geräusch hören: Die Transformation ist nun abgeschlossen, das fertige Insekt schlüpft und entsteigt dem Wasser. Um diese Verwandlung zu veranschaulichen, wird der Klang plötzlich staubtrocken und ein kosmischer Tanz beginnt, um die kurze, aber intensive Zeremonie der Reproduktion zu zelebrieren.

Interview: Arne Löffel

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