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Daddy Long Legs: „Street Sermons“ – Gassenweisheiten aus Brooklyn

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Von: Olaf Velte

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Daddy Long Legs werden im Englischen auch Weberknechte genannt. Foto: Yep Roc Records
Daddy Long Legs werden im Englischen auch Weberknechte genannt. Foto: Yep Roc Records © Sumner Dilworth

Ohne Schnickschnack servieren Daddy Long Legs ihre „Street Sermons“.

Wer trägt Backenbart, Stiefelette, Sonnenbrille? Und ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Muddy Waters For President“? Daddy Long Legs nennt sich ein auf frühen Rhythm & Blues geeichtes Trio aus Brooklyn, das mit „Street Sermons“ sein viertes Studio-Album ins populärmusikalische Rennen schickt.

Hier wird auf einem umweglos durchgebretterten Song-Dutzend eine erquickende – wenn auch geheimnislose – Melange aus vorchristlichen Ausdrucksweisen hingezimmert. Angeblich ist die predigende Brüderschaft an jeder windigen Ecke New Yorks zu Hause, kann sich einer wachsenden Begeisterung ob ihrer nimmermüden Live-Erweckungen rühmen.

Ja, es braucht nicht viel, um Freude unter die Menschheit zu bringen: Leadsänger Brian Hurd macht seine Mundharmonika zu einem Solo-Instrument erster Güte, derweil Murat Aktürk das Gitarren-Arsenal unter die Fuchtel nimmt und Josh Styles die Schlagzeugfelle ohne viel Federlesens mürbe schlägt. Gerne verweisen sie auf altvordere Impulslieferanten vom Schlage Lightnin’ Hopkins, Son House, John Lee Hooker – wir wollen an dieser Stelle die geistesverwandten Dr. Feelgood, Captain Beefheart oder Mr. Billy Childish nicht unerwähnt und außen vor lassen.

Keine Predigt ohne Protest. Von einfach-wirkmächtigem Beatgeboller angetrieben, ruft das einleitende Titelstück zu Miteinander und Zusammenhalt auf. Kaum ist dieses „Work with one another / not against each other“ verklungen, schon darf sich „Nightmare“ als Uptempo-Brüller artikulieren. Um das Hintergrundschreien authentisch ins Aufnahmegerät zu bekommen, haben die tolldreisten Daddys das britische Pub-Punk-Urgestein Wreckless Eric einfliegen lassen (dessen 77er „Whole Wide World“ kann bis heute jede Feierstunde vor Langeweile bewahren).

Das Album

Daddy Long Legs: Street Sermons. Yep Roc Records/ Bertus Musikvertrieb.

Zweimal ertönt auf „Street Sermons“ ein Saxofon, einmal kann Lovin’-Spoonful-Gründer John Sebastian seine Baritongitarre in Anschlag bringen. Die 38 Minuten und 14 Sekunden vergehen wie im Fluge, werden meist flott und ohne Schnickschnack eingetütet. „Rockin’ My Boogie“ ist genauso furios, wie es die Überschrift verheißt, „Harmonica Razor“ ein unter Harp-Dampf geblasener, zweiminütiger Instrumental-Krawall.

Mit „Star“ erreicht das Trio eine nie für möglich gehaltene Verwandlung des abgerissenen Eckenstehers zum weltgewandten Gentleman: Wollen die Rock’n’Roll-Minimalisten doch noch zum Film, gar eine Lee-Marvin-Hommage ins 21. Jahrhundert entsenden? Es bleiben Rätsel. Auf der Daddy-Long-Legs-Habenseite sind aber jene Gassenweisheiten zu verbuchen, die immerhin zwei Unumstößlichkeiten bereithalten. Längst wissen sie, dass zum Tanzen mehr gehört als rote Schuhe. Und, was noch viel wichtiger ist: „Ein gut Liedlein darf man dreymal singen.“

Am Ende intoniert New Yorks ehrenwerteste Straßen-Combo den „Electro-Motive Blues“ in all seiner nachtwärts stampfenden Lokomotiven-Ästhetik. Der Schienenstrang vibriert – „Bye, bye Baby“ – und die ewige Mundharmonika ist zugleich Heizer und Schaffner, Kuhfänger und Signalpfeife. Dass Zugführer Brian Hurd nach eigener Aussage – „kein Schulabschluss, kein Führerschein, kein Haus, keine Familie“ – nichts außer Gitarre und Plattensammlung sein eigen nennen darf, passt da sagenhaft ins Bild.

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