Cowboy Junkies: „Songs of the Recollection“ – Schmiss und Schwelgerei

Die Cowboy Junkies destillieren die Essenz: Auf dem neuen Cover-Album sind Entdeckungen zu machen.
Fünf Jahre. Siebzehn Sekunden. Zeiträume, in denen Lebensentwürfe, ja ganze Gesellschaftspanoramen hinfällig werden können. „Five Years“ von David Bowie und „Seventeen Seconds“ von The Cure markieren die Pole, zwischen denen sich das neue Album der Cowboy Junkies bewegt. Eine Sammlung von neun Songs, der Vergangenheit abgerungen, wahrhafte Erinnerungsarbeit: „Songs of the Recollection“.
Schon immer hat das kanadische Geschwisterkollektiv – zu dem sich Allzeit-Bassist Alan Anton und Dauer-Gast Jeff Bird gesellen – mit dem Liedgut fremder Schöpfer hantiert, hat öffentlich gemacht, was Einfluss und Fundament darstellt. Verschleierung ist ebenso wenig ihre Sache wie pure Nachklampferei.
Schon auf ihrem 86er Debüt „Whites Off Earth Now!“ ist die mittlerweile vor dem vierten Jahrzehnt stehende Bandgeschichte angelegt. Ehrwürdige Blues-Nummern (Robert Johnson, Lightning Hopkins, John Lee Hooker, Bukka White) treffen auf die hypnotisch-dunkle Langsamkeit von Margo, Michael und Peter Timmins, ihre in elterlicher Garage eingeübte, fast lautlose Geisterhaftigkeit. Nahtlos darf da auch Springsteens „State Trooper“ einkassiert werden. – Hörbar wird eine faszinierende Unbehaglichkeit, bar jeder nostalgischen Anwandlung, vollends dem Urgrund dieser alten Musik verpflichtet.
Auf dem Prüfstand
Das Album
Cowboy Junkies: Songs of the Recollection. Proper Music / Bertus.
Hier und heute schultern die Cowboy Junkies vor allem ihre Jugendjahre, diese wilde Epoche des Rock & Roll. Da wird das kanadischen Klassiker-Duo Neil Young und Gordon Lightfoot – als Mittelachse des Albums – auf den Prüfstand gepackt, „No Expectations“ von Jagger/Richards mittels Pedal Steel- und Dobro-Schüben eingemeindet. Vic Chesnutt – wie auch Townes Van Zandt ein vor Jahren verstorbener Freund und wichtiger Ideengeber – ist mit einer Komposition vertreten (ihn hat die Timmins-Gang mit der „Demons“-Sammlung grandios gewürdigt).
Dass sich große Songs in den Händen der Cowboys auf eigene Weise und das Bemerkenswerteste entfalten, wird auf „Recollections“ zur Gewissheit. „Five Years“, das neu gehobene Bowie-Meisterstück, ist von dringlicher Intensität, frisch wie am ersten Tag. Fulminant auch das folgende „Ooh Las Vegas“ von Gram Parsons – wie zwei andere Titel bereits veröffentlicht, aber unverzichtbar in seiner schmissigen Countryrock-Cremigkeit.
Arrangeur und Bandleader Michael Timmins ist zweifellos auf dem Gipfelplateau seiner Kunstfertigkeit angekommen, seine variationsreiche Gitarrenarbeit findet Erfüllung in der abschließenden, von fragmentarischer Zersplitterung heimgesuchten Cure-Interpretation. Nicht selten erinnern die Läufe an Neil Young – dessen „Don’t Let It Bring You Down“ endlich die gültige Form erhält: Nun ein Schwergewicht in straff gewickelter Kompaktheit.
Überraschend schleicht sich Dylans „I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You“ von 2020 ins Geschehen. Nach zwei Dutzend Veröffentlichungen und einer Bearbeitungslust, die auch Exzentriker vom Schlage Lou Reed und J Mascis nicht außen vor lässt, vertraut das Toronto-Ensemble seinen Fertigkeiten, seinem schwelgerisch-unheimlichen Sound. Schon gibt ein walzerseliger Texmex-Saitenstreichler die Spur vor, schon schmiegt sich die Rhythmus-Sektion ans Gleis, schon erklingt diese Stimme, diese so einzigartig-formende, schläfrig-fordernde Stimme.
Margo Timmins, die auf der Bühne neben ihrem Barhocker den obligatorischen Strauß Blumen anordnet, ist niemals laut geworden, niemals marktschreierisch. Wenn ihre Brüder leise werden, ist sie ein Flüstern – werden sie laut, bleibt jenes Ätherische, das aus dem Griechischen stammt und „Weite des Himmels“ bedeutet.
Wenn etwas auf diesem neuen Album fehlt, dann Neil Youngs „Helpless“-Depression. Die Cowboy Junkies haben auch das vorzeiten erleuchtet, bei der Auswahl für „Songs of the Recollection“ aber wohl vergessen. Oder nochmals zurückgelegt.