„Complete Mountain Almanac“: Das Jahr magischen Singens

Das Duo Complete Mountain Almanac stellt sich mit zwölf faszinierenden Liedern vor.
Complete Mountain Almanac“, das Debüt der Band gleichen Namens, knüpft an den Folkpop der späten sechziger, frühen siebziger Jahre an – Stichwort Laurel Canyon. Und schließt ihn mit einer fast zeitlos wirkenden Weise von Arrangement und Produktion kurz – mit hinreißendem Resultat. Für jeden der zwölf Monate ein Song: Die Texte stammen von der in den USA geborenen und in Italien lebenden Tänzerin und Lyrikerin Jessica Dessner, aus ihrem vor zwei Jahren erschienenen Lyrikband. Auch er trägt den gleichen Titel.
Die Initiative ging von der in Stockholm ansässigen, gebürtigen Norwegerin Rebekka Karijord aus, sie ist die Komponistin und Sängerin auf diesem Album. In „January“ wird die glockenhelle Folkstimme Karijords zunächst allein von der akustischen Gitarre begleitet, erst zum Schluss hin kommen Synthesizer sowie die Streicher des Malmö Symphony Orchestra ins Spiel.
Der Song für „February“ ist mit einer unbarmherzig tackernden Rhythmusspur unterlegt, bevor wiederum Synthies und Streicher eine filmmusikartige Atmosphäre aufbauen. Nachdem „March“ noch ungetrübt Mutterfreuden preist, hat „April“ einen unheilschwangeren Zug: Die Sängerin zweifelt, ob darauf zu vertrauen ist, dass sich auch in einigen Generationen noch kleine Kinder an der Natur erfreuen können: „I am faithfull/I am not faithfull“.
Der Ansatz von Complete Mountain Almanac ist zutiefst romantisch, in einer dem realistischen Blick – auf Klimawandel und Zerstörung der Umwelt – geschuldeten Gebrochenheit. Das Vergehen von Zeit ist das grundlegende Motiv, damit die Endlichkeit allen Lebens, in der Natur wie bei den Menschen. Jessica Dessner war vor fünf Jahren an Brustkrebs erkrankt: auch um Heilung geht es auf „Complete Mountain Almanac“, um Hoffnung und Zweifel.
DAs Album:
Complete Mountain Almanac: Complete Mountain Almanac. Pias/Bella Union/Rough Trade.
Der Name Dessner mag einem bekannt vorkommen: Jessicas Brüder sind die von The National bekannten Zwillinge Aaron und Bryce Dessner. Dass die beiden einen erheblichen Anteil an der Entstehung des Albums hatten, als Musiker an Gitarre, Bass, Keyboard und Programming beziehungsweise Gitarre und Klavier sowie als Koproduzenten, lässt sich an einem Hang zu pompösem Sound ablesen; das geht aber nicht so weit, dass man es für ein verkapptes The-National-Album halten könnte.
Charakteristisch etwa für die Prägung durch die Dessner-Zwillinge die Dramaturgie von Steigerung und Wiederholung in „June“. Doch sollte man sich auch nicht täuschen: Hier haben sich offenkundig ästhetisch mehr oder weniger ähnlich gesinnte Geister gefunden; der Ansatz etwa auf Rebekka Karijords Album „The Noble Art of Letting Go“ (2010) ist vergleichbar.
Berückend und zauberschön wirkt das alles, und wundersamerweise ganz und gar nicht kitschig, selbst noch wenn Rebekka Karijord schier ohne Ende die Phrase „The wind on my body, through my body“ wiederholt („August“). Der Zustand der Erde im Zeichen der Klimakrise und die Heilung des eigenen Körpers und damit auch des Selbst werden zusammengebracht, mit einem Schuss Mystizismus.