Christian Thielemann in der Alten Oper: Und es ist doch ein Dauerbrenner

Christian Thielemann und die Wiener Philharmoniker zünden Brahms’ 2. Sinfonie
Schmal war der Korridor, in dem sich die Wiener Philharmoniker in ihrem Alter-Oper-Gastspiel in Frankfurt bewegten. Erstmals unter der Leitung Christian Thielemanns wurden zwei Romantiker geboten, die in klassizistischen Rahmensetzungen komponiert haben. Vor der Pause erklangen Felix Mendelssohn Bartholdys Konzert-Ouvertüre „Die Hebriden“ op. 26, komponiert zwischen 1829 und 1832, sowie seine fast gleichzeitig begonnene, aber viel später fertiggestellte Sinfonie Nr. 3 op. 56, die den Beinamen „Die Schottische“ trägt. In gewisser Weise Geschwisterwerke, die ihren illustrativen und latent narrativen Grund einer ähnlichen Topografie des Nordens der britischen Inseln verdanken mit ihren historischen und pittoresken Bezügen, die einen Bildungsbürger wie Mendelssohn anziehen mussten. Ein Quellgrund an Idiomen und Zitationen, der in den klassischen Formvollzügen eine interessante Gemengelage bietet.
Thielemann legte einen nicht sonderlich markanten, die bildhaften Melodie- und Akkordzüge nicht stärker herausstellenden, wohl aber deutlich beschleunigten Duktus vor. Fast ein wenig gehetzt wirkte die eine oder andere Passage. Ruhe der romantischen Rückbesinnung brachten nur wenige Momente. Das Orchester in großer Besetzung folgte hautnah den Direktiven, die sich auf scharf mensurierte Streicher und auf das brillante Corps der Bläser vollkommen verlassen konnten.
Blieb man bei Mendelssohn in einem Artikulationsbereich, der, abzüglich des flotten Tempos, Standard ist, so hatte die nach der Pause folgende 2. Sinfonie von Johannes Brahms Außerordentlichkeitsstatus. Das Werk selber, in den letzten Jahrzehnten zum Dauerlutscher des Musikbetriebs und seiner mut- und gedankenlosen Immergleichheit degradiert, war natürlich auch jetzt nichts anderes. Aber immerhin war es hier ein Dauerbrenner, und das nicht nur in den atemberaubend ausziselierten und dynamisierten Verläufen des Finalsatzes. Eigentlich in jedem Element des ständig mutierenden Variantenkosmos – einer Innovationsmühle, die in ihrem Mahlwerk alles dauernd zerlegt und zugleich neu bildet.
Das war perfekt in allen Bezügen, allen immer wieder auftauchenden Spuren oder Wiedervorlagen in je veränderter Fasson. Dass das Orchester und sein Dirigent es schafften, dabei neue Charaktere, andere Ausdrücke, Ein- und Durchblicke zu gewähren, machte diesen sinfonischen Bewohner in der Ablage „Gähn“ zu einem Idealtypus des klangvollen Dauerschöpfers.