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Die Brauchbarkeit des Ungebräuchlichen

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Von: Hans-Jürgen Linke

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Alles Geschmeidige muss auf den Prüfstand: Gruß an den Komponisten Rolf Riehm zu seinem 80. Geburtstag.

Sogenanntes“: Dieses Attribut war unverzichtbar für das Linksradikale Blasorchester. Nicht als ängstliche Distanzierung, eher als eine Vermengung des Blickes der interessierten Öffentlichkeit, die dieses muntere Laienorchesterchen den außermusikalischen Anlässen, bei denen es auftrat, umstandslos zuordnete, mit einer kritisch geschärften Stellungnahme zu jeglicher Vereinnahmung von Musik. Das „Sogenannte“ war gewissermaßen der reflexive Grundsatz, der das flapsige „Linksradikal“ erst möglich machte als gemeinsame Plattform für so unterschiedliche Musiker wie den Komponisten Rolf Riehm, den angehenden Theater-Komponisten Heiner Goebbels und den Jazz-Saxofonisten Alfred Harth, auf deren Initiative in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre die Formation begründet worden war, und die anderen Mitglieder.

Die Gruppe existierte nur ein paar Jahre und lebt in der Erinnerung der alternden Sponti-Szene fort. Die erste Phase seines Nachlebens aber hatte das Sogenannte Linksradikale Blasorchester schon in Rolf Riehms sinfonischer Komposition „Tänze aus Frankfurt“, uraufgeführt 1980 vom Sinfonieorchester des HR. Riehm hat darin seine Frankfurter Lebens- und Stadterfahrung verarbeitet, eingeschmolzen, ausgedrückt, umgewandelt – und dazu gehörten eben die Erfahrungen des Komponisten bei dem ernsthaften Versuch, im Hanns-Eisler’schen Sinne brauchbare Musik für ein Laienorchester zu schreiben.

Überhaupt ist und war für Riehm Brauchbarkeit immer ein Kriterium seiner Musik. Eine Art Urknall war „Ungebräuchliches“ für Oboe, uraufgeführt am 10. Dezember 1965 durch den Komponisten selbst und acht Monate später von ihm bei den Darmstädter Ferientagen für Neue Musik vorgestellt.

Rolf Riehm lieferte damit als Komponist und Oboist eine Art Exposé zu seiner Lebensarbeit, die sich immer unter intensiver und unerbittlich kritischer Anstrengung mit dem Konventionellen beschäftigt hat. „Ungebräuchliches“ setzte sich mit dem klanglichen und spieltechnischen status quo der Oboe forschend auseinander und präsentierte in beiden Parametern Neuigkeiten. Aber daran, der neue Oboen-Heros zu werden, dem dermaleinst die Musikwelt eine neue Sicht auf das Instrument verdanken würde, war er wenig interessiert.

1972 entstand „Gebräuchliches“ für Altblockflöte. Riehm beschreibt in einem späteren Werkkommentar dessen Spieler als einen, „der seine Flöte und die Welt in Einklang bringen will. Demonstriert dabei die Krise von Zufluchtsstätten (das Instrument zwingt ihn wegen seiner Einfachheit zu einer auf die Spitze getriebenen, durchorganisierten Spieltechnik).“

Einklang mit der Welt ist bei allenfalls mögliche als Ergebnis von Arbeit, Kritik, Auseinandersetzung – also auf keinen Fall in einer stabilen Harmonie. Dass aus einer solchen Haltung eine chronische politische Selbstreflexion seiner Arbeit als Komponist und Lehrer folgte, ist naheliegend, in den Ausmaßen aber alles andere als selbstverständlich. Ein gefügter Personalstil konnte auf dieser Basis nicht entstehen. Riehms künstlerische Identität ist geprägt von der Überzeugung, dass für jede neue Arbeit neu anzusetzen sei, dass alles Handwerkliche, alles Traditionelle, alles Geschmeidige auf den Prüfstand muss. Und wenn eine Lösung zweimal präsentiert wird, dann absichtsvoll und zitathaft.

Gleichwohl gibt es nicht nur Grundsätze, sondern auch wiederkehrende Merkmale und thematische Präferenzen. Da ist einmal die Vermeidung des Konventionellen bei der Arbeit mit Texten, mit Melodien und Zitaten: Alles kann – und muss manchmal – anders sein als es ist. Eine thematische Präferenz ist die beharrliche Arbeit an antiken Mythen, das Staunen über ihre Haltbarkeit und über Situationen, die sie herstellen.

So werden auch Mythen zu etwas Sogenanntem.

Am 15. Juni wird Rolf Riehm 80 Jahre alt.

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