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Booka Shade: „Wie ist der Vibe im Club, wenn alle Masken tragen?“

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Von: Arne Löffel

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Walter Merziger (r.): „Ich bin der Impulsive, Arno ist der Kühlere“. © Booka Shade

Das Duo Booka Shade über die elektronische Musikszene in Zeiten von Corona und ihr neues Album „Dear Future Self“.

Herr Kammermeier, Herr Merziger, im FR-Interview zu Ihrem Album „Galvany Street“ haben Sie noch vor drei Jahren gesagt, dass aus dem Club keine neuen Impulse kommen und dass Sie „raus aus dem House“ seien. Was hat Sie dazu gebracht, Ihre Meinung zu ändern?

Arno Kammermeier: Das wäre jetzt wohl der klassische Zeitpunkt für den Spruch „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“. Aber mal im Ernst: Damals kamen aus den Clubs wirklich keine neuen Impulse, und wir wollten ohnehin schon immer mal ein eher songorientiertes Album machen. Wir haben mit „Galvany Street“ auch getourt und waren in ganz anderen Locations als sonst. Das war auch gut und erfolgreich. Aber wir haben natürlich auch immer die Club-Szene im Auge gehabt und dort gerade in den vergangenen Jahren wieder viele gute und neue Einflüsse gefunden.

Zum Beispiel?

Kammermeier: Das war die Zeit, als das „Bicep“-Album (vom Belfaster DJ-Duo Bicep, d. Red.) erschienen ist. Zum Beispiel.

Wie viele neue Einflüsse finden sich auf dem nun aktuellen Album „Dear Future Self“?

Kammermeier : Das Neue für uns bei „Dear Future Self“ ist, dass wir die ganzen Songs darauf schon live erprobt haben, ehe sie auf dem Album erschienen. Wir waren noch mit „Cut the Strings“ auf Tour und haben währenddessen schon die neuen Songs gespielt. Da wussten wir, welche Songs funktionieren und auf das Album sollen.

Welche Rolle bei der Produktion und Auswahl von Titeln spielen für Sie heute Streamingdienste wie Spotify?

Walter Merziger: Das werden wir immer wieder gefragt, aber tatsächlich spielt das bei der Komposition keine Rolle für uns. Unsere Songs sind für den Club komponiert, haben eine entsprechende Länge und Dramaturgie. Das Streaming hat aber den Rhythmus der Veröffentlichung verändert. Wir können jetzt viel spontaner agieren und müssen nicht auf die mittlerweile überholten Techniken wie Pressung von Platten und so weiter warten.

Kammermeier: Wir unterwerfen uns bei der Komposition aber absichtlich nicht den Mechanismen der Streamingdienste und orientieren uns nicht daran, wie man da schnelles Geld macht. Sachen, die uns musikalisch gefallen haben, haben ohnehin immer die Regeln gebrochen. Bei Booka Shade muss uns das, was wir machen, auch selbst abholen, und wir müssen uns auf der Bühne wohlfühlen. Die Musik verschmilzt nur dann mit deinem Charakter, wenn du zu 100 Prozent wahrhaftig bist. Die Streamingdienste haben uns zudem sukzessive mehr Kontrolle über unsere Arbeit und den dahinter stehenden Apparat gegeben. Wir haben eine eigene Plattenfirma gegründet und können jetzt alles selbst entscheiden. Auch das ist ein Grund, warum wir das Vorgänger-Album „Cut the Strings“ genannt haben. Mehr Arbeit, mehr Verantwortung, mehr Spaß. Wir sind jetzt mehr Unternehmer als je zuvor und so viele Releases wie zur Zeit wären mit Vinyl gar nicht machbar.

Bereitet Ihnen die Arbeit an Booka Shade und das Miteinander nach so vielen Jahren noch Spaß?

Kammermeier: Na, Diskussionen gibt’s ständig. Wir haben uns ja mit 15, 16 Jahren in der Schulband kennengelernt und sind jetzt länger miteinander zusammen als mit unseren Ehepartnern. Booka Shade lebt auch davon, dass wir recht unterschiedliche Persönlichkeiten sind. Im Kern wollen wir aber das Gleiche: gute Musik machen. Und der Glanz in den Augen zieht sich bei uns über all die Jahre durch. Das Touren schweißt uns zusätzlich zusammen.

Merziger: Vor dem „Eve“-Album im Jahr 2013 hatten wir eine schwierige Phase miteinander. Da gab es viele Unsicherheiten und übersteigerte Egos. Wir haben viel getourt, waren ausgebrannt und haben auch mal exzessiv Rockstar gespielt. Aber mit dem Alter kommt auch Gelassenheit und wir haben einen guten Weg gefunden, die Ideen des anderen auch zuzulassen. Es gibt kein Kompetenzgerangel mehr, der Brand „Booka Shade“ wird gepflegt und ja, das ist bestimmt Altersweisheit.

Sie haben gesagt, Sie seien sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Wer tickt wie?

Merziger: Ich bin der Impulsive, Arno ist der Kühlere, aber auch der Durchzieher. Es kann aber auch mal umgekehrt sein.

Kammermeier: Doch ja, über die vielen Jahre ... Walter ist eher impulsiv, ich bin eher ausgleichend. Man muss natürlich auch mal vorpreschen. Uns verbindet auf jeden Fall eine professionelle wie private Freundschaft.

Merziger: Hierzu vielleicht mal ein Beispiel: Eine typische Situation für uns ist, wenn wir ein super Konzert hatten und gerade von der Bühne kommen. Ich sage dann direkt, was geändert werden muss und Arno sagt, dass man das jetzt ruhig auch einfach mal genießen sollte.

Von der Bühne zu kommen ist in Corona-Zeiten kaum mehr als eine lieb gewonnene Erinnerung ...

Kammermeier: Das stimmt leider. Wir hatten noch Shows in den USA, aber der Festivalsommer und die Welttournee mit dem Album sind erst mal verschoben. Das ist für die Album-Promo jetzt nicht so super. Wir wollten aber das Album nicht verschieben und das passt ja auch ganz gut in diese Zeit. Schließlich war es immer unser Bestreben, Club-Sound zu machen, den man auch gut zu Hause hören kann. Musik, die das Feeling des Clubs transportiert, ohne zu krass zu sein. Ich frage mich, wie viele Clubs diese Zeit jetzt überhaupt überleben werden.

Wie wollen Sie damit umgehen?

Kammermeier: Wir haben uns schon darauf eingestellt, dass wir in den kommenden Monaten, vielleicht Jahren, von unserer Seite aus die Clubs unterstützen müssen. Wir haben viele Jahre lang davon profitiert, dass uns die Clubs eine Bühne gegeben haben. Das werden wir ihnen zurückgeben und gewiss für kleineres Geld spielen, als das in der Vergangenheit der Fall war.

Merziger: Und wenn es wieder losgeht, dann ist ja auch die Frage, wie sich das alles gestalten soll. Wie ist der Vibe im Club, wenn alle Masken tragen? Ich kann mir das nur schwer vorstellen. Für mich waren die vergangenen Wochen und Monate eine extreme Situation. Vor allem, als wirklich alles voll auf Stopp gesetzt war. Gerade in der Anfangszeit von Corona hatte ich eine echt lethargische Phase. Normalerweise war in meinem Leben alles mit Musik und dem Schreiben von Musik verbunden. Aber für vier Wochen war ich wie gelähmt. Mir war schon sehr früh klar, dass das keine schnelle Sache mit dem Virus wird.

Umso zukunftszugewandter ist Ihr aktueller Albumtitel „Dear Future Self“ ausgefallen.

Kammermeier: Der Titel basiert auf einer Textzeile aus dem gleichnamigen Stück mit Lazarusman auf dem Album. Das Stück stammt aber aus dem vergangenen Jahr und hat eine sehr positive Aussage zum Klimawandel. Die Botschaft ist, dass wir es schon irgendwie hinkriegen werden. Uns gefällt die Botschaft, weil sie uns eine Aussage ermöglicht, ohne zu politisch zu sein.

Haben Sie sich prinzipiell dafür entschieden, sich im Werk nicht politisch zu positionieren?

Merziger: Wir finden, dass Club und politische Statements nicht gut zusammenpassen, daher soll die politische Botschaft in unserem Werk keinen zu präsenten Raum einnehmen. Wir wollen auch nicht predigend wie Bono sein.

Kammermeier: Was aber nicht bedeutet, dass wir privat keine politischen Menschen wären. Wir interessieren und engagieren uns durchaus für Dinge, die uns wichtig erscheinen. Wir machen uns für Tiere, Kinder und soziales Engagement stark, aber vom Parteieneinerlei halten wir uns eher fern. Es geht uns beim Engagement immer um die Sache. Das in der Musik zu verpacken, wird aber dem Setting nicht gerecht. Im Club geht es um körperlich betonte Musik, ums Fühlen und nicht ums Denken. Das sollen die Menschen zusammen genießen, das ist Moment-Musik. Politische Botschaften reißen einen da eher raus als dass es förderlich wäre.

Sie haben beim aktuellen Album neben Lazarusman ja mit vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern zusammengearbeitet. Hat sich diese Kooperation durch Corona verändert?

-Kammermeier: Eigentlich nicht. Vieles läuft sowieso über das Versenden von Tonspuren über das Internet. Es ist – oder war – bei den vielen Tourdates der jeweiligen Künstler immer schwer, gemeinsame Zeiten in Studios zu organisieren. Trotzdem spielt bei unseren Kollaborationen der persönliche Faktor immer eine große Rolle.

Wenn man einen Künstler nach seinem Lieblingsstück auf dem neuen Album fragt, ist das immer, wie wenn man Eltern fragt, welches Kind sie am liebsten haben. Ich tu’s trotzdem. Also?

Kammermeier: Mit dem Eltern-Vergleich rede ich mich auch immer raus, wenn mir die Frage gestellt wird. Abgesehen davon sind wir ganz furchtbar schlecht, wenn es um die Einschätzung unserer eigenen Songs geht. Wir haben „Body Language“ bei der Produktion zum Beispiel nicht als Hit erkannt, es war in unseren Augen lediglich ein B-Seiten-Beitrag zu einer Compilation.

Wenn Sie dann vom Erfolg überrascht werden, welchen Einfluss hat das auf die weiteren Produktionen?

Merziger: Das ist der Fluch des Erfolgs. Wir haben natürlich zunächst versucht, das nochmal zu machen. Aber das funktioniert nie. Die Tonfolge hat ja auch etwas Besonderes. Genau wie das Riff zu „Mandarine Girl“. Das ist dann stilprägend für die EDM-Szene gewesen.

Kammermeier: Aber im Gegensatz zu EDM haben wir überlebt.

Interview: Arne Löffel

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