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Billie Eilish in der Festhalle: Und jetzt stehen alle auf

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Von: Sylvia Staude

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Billie Eilish, live. Foto: Shirlaine Forrest/Getty
Billie Eilish, live. Foto: Shirlaine Forrest/Getty © SHIRLAINE FORREST

Billie Eilish bringt eine dampfende Festhalle zum Hüpfen und Kreischen.

Am Ende, um circa 22.40 Uhr, wird nicht einen Augenblick gefackelt: Nachdem Billie Eilish nach allen Seiten gewunken und Kusshände geworfen hat, während man noch dabei ist, Schritt für kleinen Schritt die eigene Sitzreihe zu verlassen, nehmen bereits etwa zwei Dutzend Arbeiter mit orangefarbenen Schutzhelmen die Bühne so routiniert wie geschwind auseinander. Jeder Handgriff sitzt. Diese Konzertmaschine sieht keine Zugaben vor, ist aber gut anderthalb heiße und dröhnende Stunden lang fabelhaft geölt.

Im Internet wird die Amerikanerin Billie Eilish wegen ihres Flüsterns und Hauchens von der ASMR-Gemeinde („autonomous sensory meridian response“, es geht um Beruhigung und Entspannung mittels ganz leiser Töne) geschätzt; aber die Konzerte ihrer „Happier Than Ever“-Tour, auf der sie am Sonntagabend in der Frankfurter Festhalle angekommen war, überfluten die Sinne, sowohl akustisch als auch optisch. Die Attacken von Schlagzeuger Andrew Marshall lassen Sitze und Körper vibrieren. Eilishs Bruder Finneas stachelt mit jaulender Gitarre kreischende Teenies zu weiteren Höchstleistungen an.

Die vor der Festhalle in Mengen herumliegenden leeren Wasserflaschen und entsorgten Regenschirme (als Sonnenschutz genutzt) geben Zeugnis ab, wie zeitig sich die hauptsächlich weiblichen Fans angestellt haben. Aber es hat sich eine ordentliche Schlange formiert, die nun von Ordnern und Ordnerinnen zu Eile ermahnt wird. „Sonst seid ihr nicht am Platz, wenn es losgeht.“

Los geht es um halb acht mit Jessie Reyez, einer 1991 geborenen kanadischen Singer-Songwriterin, einem Bündel an ungekünstelt wirkender Munterkeit und Charme – dies mit klaren Worten und knallharten Texten. Von einer Beziehung voller Hass singt sie, dann von einem Jungen, der ein „fucking fraud“ ist, das f-Wort in die Halle fauchend, immer wieder. Reyez springt von der Bühne, eine junge Frau in der ersten Reihe soll die Geschichte übersetzen, wie die blutjunge Jessie Reyez vor Produzenten vorgesungen hat und diese ihr sagten: Wenn du es zu was bringen willst, musst du Schwanzlutschen. Dann will Reyez wissen, was „strong woman“ auf Deutsch heißt – und alle sollen „starke Frau“ skandieren. Die Halle ist von Anfang an und auf der Stelle dabei.

Eine Seelenverwandte hat sich Billie Eilish mit der zehn Jahre älteren Reyez ausgesucht, eine, die ebenfalls für die Ermächtigung von Mädchen und jungen Frauen eintritt – auch wenn sich viele Lieder ganz traditionell um Liebeskummer drehen. Aber lieb nach dem „Bad Boy“ schmachten, das war gestern.

Während des Umbaus wirbt ein Videofilm dafür, einmal täglich „tierfrei“ zu essen.

Doch martialisch tritt um kurz nach neun Billie Eilish auf, mit blendenden Scheinwerfer-Salven, Sirenengeheul, auf der Videowand Kampfhunden, die die Zähne fletschen. Glühendes Rot wie von Lava wird sie sogleich umgeben in ihrem lässigen Dress (weites, schwarz-weiß geflecktes Shirt, Radlerhosen, Sneaker, Manga-Haartracht), eine Riesenspinne wird in ihrem Rücken staksen, auch Haie ziehen irgendwann ihre Runden.

Zu verstehen ist die Sängerin in den ersten Songs – „Bury a Friend“, „I Didn’t Change My Number“, „NDA“ – so gut wie gar nicht. Was an der Tontechnik liegen mag, aber auch daran, dass ein großer Teil des Publikums nicht nur immer wieder ekstatisch kreischt, sondern aus voller, übervoller Kehle mitsingt.

Es gibt einen kleinen akustischen Einschub mit dem großartig ohrwurmigen „Your Power“ und dem nagelneuen „TV“, Bruder Finneas begleitet auf der Gitarre. Dann rennt Eilish hinter die Bühne – um am anderen Ende der Festhalle auf einer Hebebühne zu erscheinen. Noch viel mehr entzücktes Kreischen. Von links nach rechts und vorn nach hinten wird die Sängerin auf der Hebebühne gereicht, eine fleißige Arbeiterin an der Begeisterung ihrer Fans, eine Animateurin wie fast schon Yogalehrerin. Mal sollen wir tief atmen, mal uns setzen, mal aufstehen, Arme schlenkern, hüpfen.

Eilish ist freundlich, charismatisch, mampft Bonbons, die jemand auf den in die Halle reichenden Laufsteg geworfen hat, klaubt einen seltsam blassen Blumenstrauß auf. Und haut ihrem Publikum Song um Song (25 insgesamt, wenn wir richtig gezählt haben) um die Ohren. Fast alle beginnen mit einem Riesenwumms und enden mit einem abrupten weiteren Wumms. Zeit für Nuancen, auch mal für ein Flüstern? Nicht live. Da zieht Billie Eilish es durch – und man taucht entweder willig ein in diese Überwältigungsmaschinerei, oder man wird sich in Zukunft fürs Zuhausehören entscheiden. Natürlich geht auch beides.

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