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Biermann wirbt für Demokratie

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Von: Harry Nutt

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Die alte Neigung zur volkspädagogischen Anleitung mag sich Biermann nicht verkneifen.
Die alte Neigung zur volkspädagogischen Anleitung mag sich Biermann nicht verkneifen. © epd

Wolf Biermann in der Berliner Philharmonie: Das Publikum, das er auf seiner Tournee versammelt, muss nicht eigens für demokratische Prinzipien gewonnen werden.

Als Wolf Biermann die Wohnzimmerkonzerte in der Ost-Berliner Chausseestraße 131 dauerhaft verwehrt blieben, wurden seine Auftritte in den bundesrepublikanischen Festhallen zu ausgiebigen Streitseminaren. Es wurde dazwischengerufen und zurückgebrüllt, und bisweilen kam es zu quälenden Co-Referaten. Biermann kokettierte und provozierte, er grenzte sich ab von der dogmatischen Linken, liebäugelte mit den Grünen und fand schließlich einige Freunde in der CDU. Politisch heimisch wurde er nirgends. Am Ende eines oft vier Stunden und länger dauernden Vortrags versöhnte er alles unter dem harmonischen Klang seiner nicht wenigen Hits. „Das kann doch nicht alles gewesen sein.“

Vom warmen Applaus des Publikums schien Wolf Biermann seit jeher abhängig zu sein, und mehr als vierzig Jahre nach seiner Ausbürgerung aus der DDR erhält er ihn im noblen Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie gleich vorab. 81 Jahre alt wird er in diesem Herbst, jung genug, um für ein hehres Ziel noch einmal auf große Tournee zu gehen. „Demokratie feiern – demokratisch wählen“ heißt es in seltsam pathetischer Geste für etwas, das man jahrzehntelang für selbstverständlich hielt. Aus dem improvisierten Streitpalaver ist ein sorgsam komponiertes Musikprogramm geworden. Wolf Biermann ist mit Ehefrau Pamela und dem Zentralquartett unterwegs, eine satt tönende Jazz-Combo um Schlagzeuger Günter Baby Sommer und dem Pianisten Ulrich Gumpert, Biermann-Freunde aus frühen DDR-Tagen. Zentralquartett nannte man sich in ironischer Anspielung auf das Zentralkomitee der DDR, dem der Freigeist der Jazzer so verpönt war wie der Biermann verdächtig.

Wolf Biermann erzählt das alles in ausführlichen Anmoderationen zu seinen Liedern, die alte Neigung zur volkspädagogischen Anleitung mag er sich nicht verkneifen. Die ersten Zeilen, die er singt, stammen von Bob Dylan. „The Times They Are A-Changin’“ korrespondiere doch mit Brechts „Am Grunde der Moldau“. Von Zeitenwende ist darin die Rede: „Das Große bleibt groß nicht/ und klein nicht das Kleine“.

Fast jugendlich linkisch

Wolf Biermann ist erstaunlich beweglich, fast jugendlich linkisch schreitet er immer wieder das Rund der Bühne ab. Die Stimme bisweilen brüchig, aber kräftig genug, wenn es gilt, den hohen Ton absichtsvoll zu zersingen. Bekannte Biermann-Lieder erscheinen in hübsch aufgejazztem Gewand: das Barlach-Lied zum Beispiel, das von diffusen Bedrohungen handelt, vor denen man sich nicht recht zu schützen weiß. Es passt zur Gefühlswelt von heute.

Das Lied „Und als wir ans Ufer kamen“ war noch ganz frisch, als Biermann es 1976 beim legendären Köln-Konzert sang. Die Zeile „Ich möchte am liebsten weg sein“ wurde ihm von der SED-Regierung in Form hermeneutischer Verrohung als unverhohlene Fluchtabsicht ausgelegt. Nun bringt Pamela Biermann es in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Situation von Millionen Flüchtlingen in Deutschland, für die die Biermannsche Zerrissenheit brennende Aktualität besitzt.

Das alles ist natürlich auch ein wenig konstruiert. Das Publikum, das Biermann auf seiner Tournee versammelt, muss nicht eigens für demokratische Prinzipien gewonnen werden. Und die jazzigen Arrangements der alten Lieder sind allemal hinreichend, um sie vor interessiertem Publikum zu präsentieren. Man nimmt sich nicht allzu ernst dabei. Dass Wolf Biermann gar nicht anders kann, als sein Liedgut mit Thesengirlanden und lyrischen Botschaften zu versehen, ringt einem nach all den Jahren nicht nur Achtung, sondern auch ein bisschen Wehmut ab. Hier steht ein Künstler, der es immer auch darauf abgesehen hatte, musikalische Kontrastmittel in die politische Farbenlehre zu bringen. Der Saxophonist Henrik Walsdorff und der Posaunist Christof Tewes erden das leicht ins Nostalgisch tendierende Konzert im jazzigen Hier und Jetzt. Biermann in Jazz, das ist durchaus auch als Ermutigung zu verstehen. Das gleichnamige Lied gibt es selbstverständlich als Zugabe.

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