1. Startseite
  2. Kultur
  3. Musik

Ankommen in der Schwebe

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Christian Thomas

Kommentare

Der amerikanische Musiker J.J. Cale (Archivbild von 2007) starb im Alter von 74 Jahren an einem Herzinfarkt.
Der amerikanische Musiker J.J. Cale (Archivbild von 2007) starb im Alter von 74 Jahren an einem Herzinfarkt. © dpa

Sänger und Songwriter J. J. Cale prägte Musikgrößen wie Eric Clapton. Jetzt ist der Sänger von Songs wie "Cocaine" und "After Midnight" im Alter von 74 Jahren gestorben.

Lang der Weg heim, so murmelte er, soeben erst, „Long way home“. Da wurde mitgenommen nur das Liebste. Dennoch nicht größer hätte die Zuversicht sein können, die die Gitarre verbreitete. Größer aber auch die Unrast nicht. Singende Sehnsucht, kräftig knatterte das Schlagzeug mit. Ja, der Mensch ist nicht der, der gern allein geht. Es stampfte ein Song Richtung Heimat. Long way home. Er stampfte bei uns unterm Dach.

Weißt Du noch?

Ja, sein Gang war ein langer Gang. Auch wir gingen ihn, und taten es am vorletzten Sonntag zu Dritt, mit Songs von J. J. Cale verabschiedeten wir uns, Richtung Frankfurt. Die Berlin-Zeit vorbei, zwei Jahre des Nichtankommens fertig. J. J. Cale machte daraus Balsam: „Thirteen Days“. Überm Dachfirst, gleich gegenüber, glimmte unser Kirchturm durch die Nacht. Über der Hauptstadt, drei Handbreit mehr rechts, schillerte der Fernsehturm. „After Midnight“ ließen wir ihn nicht allein nuscheln. Von Sonntag auf Montag tigerte J. J. Cale durch unsere Nacht. „Slower Baby“. Langsam, lass den alten Mann schlurfen.

Dann, während der jüngsten Samstagabendnacht, brach in die intensive Beschäftigung mit Bayreuth (live im Rundfunk die Übertragung der „Walküre“) auf einem anderen Kanal die Meldung von seinem Tod in die Musikwelt ein. Was konnten wir tun? Wie war uns zumute?

Komm, mach Bayreuth einfach aus, leg unsere J. J.-Cale-Sammlung auf. Denn ein bisschen in der Musikwelt wird es morgen nicht mehr so sein wie zuvor. Einfach nochmal näher zu ihm.

Mach bloß weiter

Und so waren wir auch in dieser Nacht an seiner Seite: „Carry on“. Mach bloß fort, mach bloß weiter. Denn wo ein Tod eintrifft, geht es darum, sich aufzumachen. So drehten wir auf. Was sich einstellte, war J. J. Cales Flüsterstimme: „Borrowed time“. Ohne auch wirklich alles zu überblicken, erschien Lebenszeit für 4 Minuten und 13 Sekunden etwas auf Pump.

Schon in den Fünfzigern hatte J. J. Cale angefangen, tingelnd, tourend, so lauteten die Legenden, die in der Nacht von Samstag auf Sonntag aufkamen. Sie versicherten, dass er, als die Unruhe zu Ende ging, sesshaft wurde in Oklahoma. Von hier ist er wohl nie wieder losgekommen, das erzählt ein Film von Jörg Bundschuh, eine wunderbare DVD, sie heißt „To Tulsa And Back“, kam 2005 heraus. Am Ende war das Geheimnis von Cales „Tulsa Sound“ offen geblieben, weil der Film sein Gemenge aus Rock‘ n‘ Roll, Country, Blues und Jazz nicht zerlegt hatte in seine Einzelteile, sondern immer nur hatte anspielen lassen, für ein paar Takte. Am Ende kamen 167 Minuten Spielzeit heraus, fast drei Stunden, in denen es beim Andeuten blieb. Es ging schließlich um einen Mythos.

Bei allem ließ sich dennoch heraushören: Cale war ein Hybridkünstler, das aber auf die denkbar entspannteste Weise. Nichts geriet ihm schwer, er hielt die schweren Dinge in der Schwebe, und dazu zählte ganz gewiss das bleiernste Instrument des Rock’n‘Roll, die Gitarre, dieses Gerät für Hochgeschwindigkeitsartisten und Pathosaktivisten. Seine Gitarre war nicht für das Raunen zuständig, er ließ sie summen. Selbst in „Downtown L.A.“, besungen als schauriger Schauplatz, als Ort der Depression, daran ließen die Worte keinen Zweifel, waren es die Saiten, die er hüpfen ließ. Das Tamburin forderte das Schlagzeug auf, und weil beides in den Händen einer Person war, die das ja nicht gleichzeitig tun konnte, hatte Cale mal wieder im Studio die Tonbandmaschinen in Bewegung gesetzt. Cale, der Bastler.

Eric Clapton hat Cale viel zu verdanken

Eric Clapton, der Cale unendlich viel zu verdanken hat, Cover-Versionen wie „After Midnight“ oder „Cocaine“, und der mit beiden enorme Erfolge hatte und Geld gemacht hat (wie viele andere auch), bekannte einmal, dass er ihm nie dahinter gekommen sei, nicht hinter zwei große Cale-Geheimnisse. Das erste: nicht hinter die unverschämt zurückgelehnte Art des Gitarrenspiels. Nicht hinter das zweite: wie der Frickler Cale Spur über Spur lagere, wie er mixe. Clapton sprach über Cale wie über einen Alchimisten. Der Gitarrengott Clapton verbeugte sich vor einem Zauberer, einem Merlin der melancholischen Gestalt, einem Beckett des Pop.

War ihm die Bühne wirklich kein Spaß? Dass er sie gemieden hätte, wie es oft hieß, wäre eine Legende. DVDs dementieren, und sie werden Dokumente bleiben. Aus Gewabber und Geräuschaufkommen heraus wird perlen eine Fingerpicking-Passage, keine zehn Sekunden lang. Weiter ließ er es kaum kommen.

Was die DVD-Industrie mit Cales Auftritten angestellt hat, ist nicht schön. Ungehobeltes Material, Rohstoff aus den Dark Ages der Videotechnik. War er deswegen bühnenabstinent? Umso größer, plötzlich, seine Live-Platte. Nicht ein einziges Konzert wurde darauf gepresst, vielmehr 14 Titel aus sechs Jahren, von 1990 bis 96. Darauf auch „Cocaine“, das berühmte Drogen-Bekenntnis. Oder war’s immer schon ein Anti-Drogen-Song? Aber hätte er dann, Jahre später, darauf bestanden, dass die Sucht ein Fluch war. Bei klarem Verstand: Schmerz, Qual, Leiden.

Cale dürfte kein angenehmes Leben geführt haben. Wenn er dem Rampenlicht eher abgeneigt war, heißt das nicht, dass er nicht dennoch ein rastloses Leben führte. Eines aus dem Koffer, im Wohnmobil, auf dem Tournee-Truck, auch das erzählt Bundschuhs Hommage. Alte Wegbegleiter wichen auf der Tour nicht von seiner Seite, wortkarge Männer in schwarzen Hüten, in enganliegenden Hosen und weiten Hemden. Aus dem Hintergrund heraus ging die Lebensgefährtin an der Gitarre zur Hand. So gewiss sie den Rhythmus schrubbte, so beständig war ihr Lächeln. Eines Tages hatten sie sich gegenseitig angelacht.

Ebenfalls eines Tages zeigten die CDs den Mythenumwitterten äußerlich verändert. Schwarz die Sonnenbrille, schwarz das Hemd, schwarz der Rücken der Gitarre. Am Anfang der Geschichte der Cale-Fotos stand der Hippie, der Komponist von „Cocaine“, mit breitem Stirnband und breitem Gitarrengurt bestritt er seine Bühnenshows. Das war seine Jugend mit Ende Dreißig. Im Bundschuh-Film, Jahrzehnte später, brummte ein Mann wie ein Bär (Seebär) in die Kamera, der mit seiner Menschenscheu ganz offensichtlich nicht nur kokettierte. Und der sich zu seiner Medienscheu nicht durch pompöse Pop-Inszenierungen bekannte, sondern ins Anderswo auswich.

Songs wirkten improvisiert

Vielleicht deshalb schlurfte er durch seine Songs immer wieder wie ein Tramp. Bei aller Raffinesse wirken sie wie improvisiert. Wobei neun von zehn Songs, während er die Saiten in sieben von zehn Fällen tupfte, kaum länger währen als 2:45 Minuten. Er näselte sich durch seine Songs; und einiges ließen wir ihn nicht allein nuscheln. Brüderlich teilte er mit uns seinen Titel: „Sensitive Kind“. Seine Gitarrentöne schienen zu hüpfen, und das Schlagzeug trommelte Herzrhythmusstörungen. Nie geriet er außer sich, nicht ein Solo, das er seinen Hörern anvertraute, geriet schrill, keines gellend. J. J. Cale hat sich auf der Bühne nie gekrümmt. Er lebte an der Gitarre die Gelassenheit vor. Wenn er etwas auslebte, dann das Understatement. Sicher, er setzte auf Tricks, er mixte seine Kompositionen zusammen, frickelte mehrere Tonspuren übereinander. Doch am Ende kam das Artifizielle daher wie die akustische Selbstverständlichkeit.

Ja, lass uns nochmal bei ihm Audienz nehmen.

Also: „Call me the Breeze“, „Call me Doctor“, und darüber hinaus, abseits der Cale-Hitparade, seinen Flamenco:

„Tijuana“?

Du sagst es!

Er sagte: Was er gemacht habe, fand er okay. Wo ansonsten im Rock‘n‘Roll Gewitterstimmung, Schwüle und Hitze herrschen, waren seine Songs wie eine Brise. „Steves Song“, und da ließ er sich ausnahmsweise einmal vier Minütchen Zeit, fuhr Trompeten und Posaunen auf, ließ Lebenszeit swingend verstreichen. Anschwellender Bocks-Gesang, aber dazu kein Wort. Denn unter den Schweigern war er ja sowieso einer der größten überhaupt, wie ja auch unter den Gitarristen einer, der mit seinen enormen Möglichkeiten am verschwiegensten umging. Oder hätte sich Clapton, wenn er mit ihm auftrat, sich dermaßen im Hintergrund gehalten?

Als der Begriff „laid back“ aufkam, musste man das J. J. Cale nicht mehr erklären. In „That Kind of Thing“ mochten Bass und Schlagzeug vom ersten Takt auch noch so sehr stampfen, davon emanzipierte sich seine Gitarre locker. Laid back, die pure Zurücklehnung, Sesshaftigkeit, wie im Schaukelstuhl, und das bei einem Menschen, der die Unstetigkeit gelebt hat, das Nomadentum des Rock‘ n‘ Roll. Vielleicht deswegen sind die Songs J. J. Cales nicht gemacht für ein Ankommen. Sie halten etwas in der Schwebe, die Sehnsucht auf jeden Fall.

Und was hören wir jetzt?

„Ride me High“, von seiner Live-Platte.

Hinaufgeritten in den Olymp der Musikwelt war er schon vor geraumer Zeit. Seit unvordenklichen Zeiten weiß die Menschheit, dass der Sitz der Götter kein fester Wohnsitz ist. Und auch die Musikwelt ahnt: Der Olymp ist ein Unruheort, gut für vieles nicht, oft nicht gut zum Herzen.

Ebendort ist er jetzt gestorben mit 74, an einem Herzinfarkt. Mit einem einfachen Satz kündigte er, kurz bevor er 70 wurde, an: „Ich nehme mal an, bei dem ungesunden Lebensstil, den ich der Vergangenheit geführt habe, werde ich die 75 nicht erreichen.“

Auch interessant

Kommentare