Altin Gün „Ask“: Von hier eine Melodie, von dort ein Refrain

Altin Gün kehren mit ihrem Album „Ask“ zum Anadolu Rock zurück.
Im Türkischen gibt es mehrere Begriffe für Liebe. Einer davon lautet Ask und steht für besonders tiefgehende Gefühle. „Ask“ ist auch der Titel des fünften Albums der niederländisch-türkischen Band Altin Gün, die sich seit ihrer Gründung vor gut sieben Jahren der Neuentdeckung und Neuinterpretation traditioneller türkischer Musik widmet.
Man könnte Altin Gün als Coverband bezeichnen, würde damit der kreativen Leistung der fünf Musiker und einer Musikerin jedoch nicht im Entferntesten gerecht. Die Gruppe um Bassist Jasper Verhulst und Sängerin/Keyboarderin Merve Dasdemir kehrt bekannte Lieder von innen nach außen, holt sich von hier eine Melodie und von dort einen Refrain, fügt die Versatzstücke zu neuen Werken zusammen.
Altin Gün spielen auf traditionellen Instrumenten wie der türkischen Laute Saz und dem typischen, aus Synthesizern, E-Gitarre, Bass und Schlagzeug bestehenden Rockinstrumentarium, bedienen sich an Funk, Disco und Rock. Und das mit großem Erfolg: Altin Güns 2019er-Album „Gece“ wurde mit dem Grammy Award for Best Global Music ausgezeichnet, ihre Live-Auftritte gelten als legendär und sind meistens ausverkauft.
Mit „Ask“ kehrt das Sextett nach zwei eher synthiepoppigen Alben zum Anadolu Rock der siebziger Jahre zurück, einer Stilmischung aus türkischen Volksliedern und progressiver Rockmusik mit psychedelischen Elementen. Türkische Künstler wie Baris Manço oder die Band Mogollar begeisterten sich ab Ende der Sechziger stark für US-amerikanische und britische Rock- und Popmusik, verwoben ihre eigenen Kompositionen mit den neuen „fremden“ Klängen und hoben so ein neues Genre aus der Taufe, das durchaus politische Sprengkraft hatte und als Wegbereiter späterer Protestbewegungen gilt.
Das Album:
Altin Gün: Ask. Glitterbeat/Rough Trade.
Neben dem Hit „Çit Çit Çedene“ vom bereits erwähnten Superstar Baris Manço covern Altin Gün das Stück „Leylim Ley“ des Musikers und Komponisten Ömer Zülfü Livaneli, der in den 1970er Jahren wegen regierungskritischer Äußerungen die Türkei verlassen musste.
Ein Space-Rock-Monster
Den Folk-Standard „Rakiya Su Katamam“, ursprünglich eine Komposition des türkischen Schriftstellers und Theologen Mustafa Öztürk, verwandeln Altin Gün in ein pulsierendes, treibendes Space-Rock-Monster, auch der Album-Opener „Badi Sabah Olmadan“ macht mit wirbelnden Arabeske-Melodiefetzen und peitschender Percussion schier atemlos: ein grandioser Einstieg, von der Band im Studio „in einem Rutsch“ eingespielt wie das komplette Album, auf Vintage-Equipment und ohne vorherige Demoversionen.
Die Stimmung ist entsprechend mitreißend und direkt – aber Altin Gün können auch bedächtig und gefühlvoll: Das vermutlich aus den vierziger Jahren stammende Volkslied „Güzelligin On Para Etmez“, getextet und komponiert vom alevitisch-anatolischen Dichter Asik Veysel, transformieren Altin Gün in eine zärtliche Folkballade. Die Youtube-Einnahmen des als Single veröffentlichten Stücks spenden Altin Gün übrigens komplett an die Opfer des verheerenden Erdbebens in der Türkei und Syrien. Auch ein Ausdruck von tiefer Liebe.