Alles muss raus

Mit dem Album "Is This the Life We Really Want?" zieht Roger Waters die Bilanz seines Lebenswerkes.
Ist das das Leben, das wir wirklich wollen? Die Frage ist ernst, wie alles bei Roger Waters. Und sie ist rhetorisch. Wie sollte das Leben auch so gewollt sein, in Zeiten von Krieg und Terror, Konsum und Idiotie, Fanatismus und Fake News. „Is This the Life We Really Want?“ Nein, könnte die Antwort schlicht lauten. Waters, eher ein Mann der großen Geste, formuliert seinen zivilisationskritischen Befund in Gestalt seines ersten Soloalbums seit fast 25 Jahren. Alles, was sich bei ihm angestaut hat, muss raus. Seine Wut, seine Trauer, sein Zorn, seine Melancholie.
Seit er vor fünfzehn Jahren mit dieser Arbeit begonnen hat, war es nie richtig vorwärts gegangen. Er hat Songs geschrieben, Songs verworfen, Konzepte entwickelt, Konzepte verworfen. Er ist mit seiner Oper „The Wall“ auf Tournee gegangen und dann gleich noch einmal und noch mal. Auf die alten Nummern konnte er sich verlassen, das neue Material wollte sich nicht fügen. Seine Idee, die Lieder in ein Radio-Feature zu fassen, über einen Mann, der gemeinsam mit seiner Enkeltochter den Tod von Kindern in Kriegsgebieten untersucht, kam bei der Plattenfirma nicht so gut an. Sie hatten dort mehr mit einer Rockplatte gerechnet. Wie früher eben. Aber dann kam Trump. Plötzlich löste sich der Knoten. Hass ist einen guter Antrieb für das Kunstschaffen. Roger Waters hasst Donald Trump. In einem Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“ hat er sich gerade sehr deutlich über ihn geäußert. „Ein fürchterlicher Mensch. Ich fürchte nur, dass er uns nicht alle tötet – also weder versehentlich noch mit Absicht.“
In dem Song „Picture That“ vom neuen Album klingt das dann so: „Picture a courthouse with no fucking laws, picture a whorehouse with no fucking whores, picture a shit house with no fucking drains, picture a leader with no fucking brains.“ Stell dir ein Scheißhaus ohne Abfluss vor, stellt dir einen Präsidenten ohne Verstand vor. Das sind Zeilen, die man mögen muss. Roger Waters ist 73 Jahre alt, andere seiner Generation nehmen Coveralben auf und kuscheln sich in Nostalgie, er macht das, was man einmal Protest nannte.
Im Titelsong liefert Waters, der alte Kommunist der Herzen, das Manifest einer faulenden und verrohenden Gesellschaft. „Die Gans ist fett geworden, vom Kaviar in schicken Bars, von subprime loans and broken homes.“ Wie er es sieht, hat die Finanzkrise dazu geführt, dass die Menschen von ihrer Angst in Schach gehalten werden, Angst vor dem Absturz, Angst vor dem Fremden, Angst vor der Angst. In „Déjà Vu“ spielt Waters mit dem Gedanken, Gott zu sein. „Wenn ich Gott wäre, hätte ich einen besseren Job gemacht.“ Er hätte nicht Drohnen auf Unschuldige feuern lassen, hätte nicht die Natur geschändet und nicht die Büffel gekillt.
Die Generalkritik des Moralisten Waters wirkt in ihrer Rigorosität mitunter rührend. Aber manch eine Wahrheit ist eben so einfach, wie sie klingt. Als Sohn eines Soldaten, der im Zweiten Weltkrieg fiel und Enkel eines Großvaters, der im Ersten Weltkrieg starb, darf man ihm seinen Friedenstraum ruhig abnehmen. „Aber wir wählten den American Dream“, singt er im Klagelied „Broken Bones“.
Anti-Amerikanismus und auch Antisemitismus, das sind Vorwürfe, mit denen er sich konfrontiert sieht, seit er im Palästinenserkonflikt zum Boykott Israels aufgerufen hat. Im letzten Lied der Platte, dem bilanzierenden „Part of Me Died“, spricht er davon (ein toller Sänger war er ja nie), dass es wohl besser sei, in den Armen einer Liebsten zu sterben als Reue zu zeigen.
Dass hier so viel von den Texten die Rede ist, liegt daran, dass Roger Waters musikalisch nicht viel Neues bietet. Das allerdings auf hohem Niveau. Seit 32 Jahren ist er nicht mehr Mitglied bei Pink Floyd und liefert jetzt die beste Pink-Floyd-Platte seit Ewigkeiten ab. Einige Passagen schließen an die rockigeren Stellen von „Wish You Were Here“ an, vor allem das Stück „Have a Cigar“ kommt einem in den Sinn, vor allem aber erinnert die neue Platte phasenweise an „Animals“, das unterschätzte Werk von 1977, mit dem die Solokarriere von Waters begann. Schon auf dieser weniger sphärischen und eher bluesigen Platte hatte er fast alles selbst geschrieben, und nach seinem egomanischen Trip mit „The Wall“, bei dem er sein Kindheitstrauma als Kriegskind ausbreitete, war er bald ganz mit sich allein.
Leider wollte Waters auch diesmal nicht auf den Orchesterbombast verzichten, da hat die Zusammenarbeit mit dem Modernisten Nigel Godrich (Radiohead, Beck) nicht viel gebracht. Als Produzent konnte dieser ihm aber zumindest die Radio-Masche ausreden, in der jetzigen Form wirken die Songs strukturiert und dicht. Nur in den Überleitungen sind wieder die Newsflashs und Soundeffekte zu hören, die Waters so liebt.
Mit Musikern wie Jonathan Wilson (Father John Misty) an der Gitarre und Joey Waronker (R.E.M.) am Schlagzeug ist die Band stilvoll besetzt. So hätte das Pink Floyd nicht mehr hingekriegt. Richard Wright ist jetzt schon eine Weile tot. Nick Mason kümmert sich in London um die museale Aufbereitung und David Gilmour verdämmert über jahrzehntealten Soli. Nun ist es an Roger Waters, das Erbe von Pink Floyd noch einmal um die Welt zu tragen. Seine US-Tournee hat gerade begonnen, im nächsten Jahr spielt er in Europa. Und dann will er aufhören. Roger Waters: Is This the Life We Really Want? Smi Col/Sony Music.