Algiers. Foto: Ebru Yildiz
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Algiers.

Algiers „Shook“

Algiers mit Album „Shook“: Der ultimative amerikanische Albtraum

  • VonStefan Michalzik
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Postpunk trifft Gospelchor: Algiers und ihr Atlanta-Album „Shook“.

Das leitende Motiv ist die Hoffnung auf eine bessere Welt – die Basis eine Auseinandersetzung mit dem fortlaufenden Übel. Wut spielt eine Rolle wie zugleich Sanftmut. Was gut zusammengeht.

Es ist eine phänomenale Durchmischung von Genres, die den singulären Stil von Algiers ausmacht. Allein schon Postpunk und Gospelchor muss man erst einmal zusammendenken, dazu kommen Soul und Hip-Hop, R’n’B, Industrial und Noise, mal auch Spuren von Jazz. Auch auf „Shook“, dem vierten Album des angloamerikanischen Quartetts seit dem unbetitelten Debüt 2015, wirkt das ganz organisch.

Algiers – in dem Namen der bereits 2007 (ursprünglich als Trio) in Atlanta, Georgia gegründeten Gruppe manifestiert sich eine politische Position: Die Kapitale Algeriens war historisch ein wichtiger Kulminationspunkt in den antikolonialistischen Befreiungskämpfen. Musikalisch sind viele Nummern von überbordender Üppigkeit, etwa das als Single ausgekoppelte „Irreversible Damage“, mit Rap über EBM-, Electric-Body-Music-Beats und später einem Rockgitarrensample. Spuren von Dub finden sich in – der Titel verweist schon darauf – „An Echophonic Soul“, Saxofon-Sample aus einer Sun-Ra-Nummer ist tragend in „Out of Style Tragedy“; „Something Wrong“ hingegen rekurriert auf US-Hardcore-Punk.

Das Album:

Algiers: Shook. Matador/Beggars Group/Indigo/375 Media.

Aufruf zum Widerstand

Der Sänger Franklin James Fisher verfügt über einen schwerblütig-bittersüßen Soulbariton. Darüber hinaus taucht eine Reihe von anderen Stimmen auf. Besonders stark die atmosphärisch aufgeladene Nummer „Cold World“ mit der ägyptisch-kanadischen Experimentalmusikerin Nadah El Shazly. Prägend steht der ebenfalls aus Atlanta stammende Spoken-Word-Poet Big Rube auf der Gästeliste, des weiteren unter anderem Zack de la Rocha von Rage Against The Machine, Mark Stewart von der Pop Group und die sambisch-kanadische Rapperin Backwash. Symbolisch dahinter der Gedanke, Gemeinschaft zu stiften. „Shook“ steht im Englischen für erschüttert – der Band zufolge ein Bild für den Zustand der USA als gespaltene Gesellschaft. Rassismus ist ein wiederkehrendes Motiv. Es wird – obwohl die Texte nicht im engeren Sinne agitprophaft sind – zum Widerstand aufgerufen: „Bite back the hand that feeds you/ if it’s poison“ – Beiß’ zu, wenn die Hand, die dich füttert, dir Gift reicht.

Es handelt sich um eine Art von Konzeptalbum zu Atlanta – drei der Musiker stammen aus der Stadt, neben Fisher der Bassist Ryan Mahan und der Gitarrist Lee Tesche. Der 2017 hinzugestoßene Schlagzeuger Matt Tong war zuvor Mitglied der Londoner Indierocker Bloc Party. Die Südstaaten sind Mahans Befund zufolge der „ultimative amerikanische Albtraum“. Längst sind die Musiker von dort weggegangen, inzwischen leben sie in New York (und London).

Ungeachtet des tiefen Ernstes und einer gewissen musikalischen Düsternis ist der Eindruck im Ganzen nicht schwer und lastend. „Wir können Welten erschaffen“, hat Lee Tesche einmal gesagt, „in denen Gerechtigkeit existiert“ – mehr oder weniger konterkariert von Franklin James Fishers Kommentar zu der infernalisch harschen Nummer „Irreversible Damage“: „So klingt Hoffnung im Jahr 2022, wenn alles auseinanderfällt.“

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