„Afro-Modernism in Contemporary Music“: Was dazwischen liegt
Ein Abend zu moderner afrikanischer Musik mit dem Ensemble Modern.
Das Festival „Mitten am Rand“ am vergangenen Wochenende in der Frankfurter Alten Oper ist zuallererst als Reflex auf den derzeitigen Diskurs um Diversität zu sehen; in welchem Maß eine Saat im Programm des Konzerthauses aufgehen wird, bleibt abzuwarten. In einem kurzen Film, der zu Beginn des Konzerts „Afro-Modernism in Contemporary Music“ mit dem Ensemble Modern – das 2020 ein auf seiner Webseite abrufbares Symposium zum Thema ausgerichtet hat – gezeigt wurde, spricht der Komponist George Lewis von der Notwendigkeit einer Bestandsaufnahme: der Antworten der Afrodiaspora auf die Herausforderungen der Moderne und jene der Dekolonisation. Lewis wurde zunächst als Posaunist im Free Jazz um die Chicagoer Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) bekannt, er lehrt an der New Yorker Columbia University und kuratierte das Programm für diesen Abend.
Als Perkussionsstück, gespielt jedoch auf Streich- und Blasinstrumenten, stellt sich „Existence Lies In-Between“ (2017) von Jessie Cox dar; der in New York studierende Schweizer hat Wurzeln in Trinidad und Tobago. Es handelt sich um eine Auseinandersetzung mit der westlichen Sicht auf die als „geräuschhaft“ empfundenen „exotischen“ Musikkulturen.
Mit Stimmenvielfalt
Die klassische Form des Streichquartetts, in deren Zusammenhang immer wieder Goethes Sentenz von der Unterhaltung vierer „vernunftbegabter Menschen“ zitiert wird, hat der in London aufgewachsene schwarze Komponist Daniel Kidane in „Foreign Tongues“ (2015) zeitgenössisch überschrieben im Sinne einer multikulturellen Stimmenvielfalt, mit Passagen auch eines eher Neben- als Miteinanders.
Für Klavier – Ueli Wiget – und großes Ensemble hat der Südafrikaner Andile Khumalo „Invisible Self“ (2020) geschrieben, mit furios staccatohaft perkussiven Repetitionen im Solopart und dann wieder auch einer debussynah Innerlichkeit vermittelnden Flöte zu Beginn. Motiv ist das Phänomen einer Fremdenfeindlichkeit in Südafrika gegen zugewanderte Afrikaner aus anderen Ländern.
Mehr als ein Aufwärmer war das kurze, eingangs gespielte „Verdala“ (2018) von Hannah Kendall, einer in New York lebenden jungen Britin mit südamerikanisch-karibischen Vorfahren. Es gab subtile Stimmverwebungen in einem gespannt wirkenden Klangbild. Außermusikalischer Quell ist die Beschäftigung mit dem Kolonialismus im Werk des karibisch-guyanischen Dichters Martin Carter.
Alvin Singleton war – erst 1972 – der erste schwarze Komponist bei den Darmstädter Ferienkursen. „Again“ für Kammerorchester (1979) lässt die fundamentale Rolle der Improvisation (als Methode des Komponierens) für das Werk des jazzafinen Komponisten erkennen.
Blendend animiert hat das Ensemble Modern diese Stücke allesamt aufgeführt, unter der Leitung der mit Übersicht für das Strukturganze agierenden taiwanesischen Dirigentin Lin Liao. Durchweg waren die Werke formal konzise und ob ihrer inneren Konsequenz bestechend.
Einen Mitschnitt des Konzerts sendet hr2 am 9. Juni um 20.04 Uhr.