Aus dem Ärmel
Die virtuose Anna Calvi gibt in der nicht gut gefüllten Batschkapp die Alpha-Wölfin.
Mehr als eine Stunde später als angekündigt betritt Anna Calvi endlich die Bühne der Frankfurter Batschkapp. Ein DJ hat bis dahin das nicht eben zahlreiche Publikum angeödet, eine anstrengende Schlagzeug-Gitarren-Geräusch-Bandschleife die Umbau- und Stimm-Tätigkeiten der Roadies begleitet. Keine guten Ausgangsbedingungen.
Die britische BBC feierte Calvi als einen der wichtigsten Popneulinge, noch bevor 2011 ihr Debütalbum erschien. Ihr Förderer Brian Eno hielt sie für die nächste Patti Smith. Die Feuilletons fanden sie klasse; sie bekam Musikpreise, aber nie ein richtig großes Publikum.
Anna Calvi hat mit sechs Jahren angefangen, Geige zu spielen, und mit acht die Gitarre in die Hand genommen; beides hat sie später studiert. Ihre Musik ist reich an Einflüssen, von Messiaen und Debussy über Elvis und Roy Orbison, Nina Simone und Maria Callas bis Django Reinhardt und Jimi Hendrix – alles sorgfältig durch den Fleischwolf gedreht, nicht als akademischer Zitatenreigen. Sie tourte mit Nick Caves Band Grinderman und Interpol.
Das jüngste, nach fünfjähriger Pause erst dritte Album der Britin thematisiert Gender-Rollen, Homophobie, die sie mit ihrer Lebensgefährtin erlebt hat, und Alltags-Sexismus. Sie sei es leid, dass Frauen von Männern „gejagt“ würden, erklärt sie in Interviews mit Blick auf den Album-Titel „Hunter“.
Die musikalische Umsetzung passt: Calvi nimmt den Macho-Muckern die Stromgitarre weg. Auf ihrer abgeschrabbelten Telecaster rotzt sie verzerrte, mit allerlei Effektgerät verfremdete Riffs und Soli in den Saal, begleitet von Schlagzeug und einer Keyboarderin, die auch für die elektronischen Bässe, diverse Perkussion und Geräusch zuständig ist.
Ohne große Virtuosen-Pose schlenkert Calvi Läufe aus dem Ärmel, bei denen vielen Kolleginnen und Kollegen die Ohren schlackern dürften. Der anspielungsreiche Gitarrenklang von Surf-Sound bis Texicana-Twang, von zart gewebtem Arpeggio über Bottleneck-Blues bis Rock-Brett kippt häufig ins Schräge. Über diesen abgefahrenen Post-Post-Postpunk-Grundsound singt sie mit einer über breite Tonlagen reichenden, im Alt geradezu opernhaften Stimme intensive Melodien zwischen Vamp und Walküre, zwischen Iggy Pop und Grace Jones.
„I’m an Alpha“, singt Calvi auf „Hunter“. Mit ihrem intensiven Gestus schlägt sie trotz mangelnder Zuhörer-Masse und des schwierigen Starts die Batschkapp in ihren Bann. So gehört sich das für eine Alpha-Wölfin.