Da gibt es naheliegende Ursachen, vor allem das ermüdende Hickhack, die Schlagworte zum Verkleistern der Langsamkeit vieler Dinge und die Bereitschaft vieler Politiker, sich von Unternehmen zusätzlich bezahlen zu lassen. Die Medien betonen dann die verworrenen dunklen Einzelheiten der Welt, statt Überblick, Augenmaß und Lösungszuversicht zu fördern. Aber es gibt einen überraschenden tieferen Grund.
Gerade Menschen, die Politik und Medien misstrauen, haben klammheimlich ein schlechtes Gewissen: Sie wissen, dass sie Mitschuld an der Sache tragen, und suchen einen Sündenbock. Die Menschen wissen ja, sie haben genau diese Politik seit Jahren immer wieder gewählt, bis es keine andere Art von Politik mehr gab. Sie wissen, dass sie selbst zu faul für zeitraubende Ämter und ätzende Parteiarbeit sind. Die Menschen wissen auch, dass sie Medien, besonders Fernsehen, zur Steuerung ihrer Gefühle einsetzen: Sie wählen Sendungen und Formate, die ihnen ziemlich berechenbar bestimmte Stimmungen und eine Bestätigung ihrer Sichtweisen verschaffen. Wer seine Ruhe haben will, schaut Köche, Volksmusik oder Schmalzfilme. Wer die Welt vor lauter künstlicher Aufregung vergessen will, schaut Horror und Weltuntergang. Wer seine eigenen abgedrehten Ansichten bestätigen möchte, taucht unter Gleichgesinnte ins Internet ab, etwa in das Netz der Populisten. Die anstrengenden Einzelheiten der Wirtschaftspolitik zum Beispiel interessieren kaum jemanden, aber alle haben hohe Erwartungen und eine Meinung dazu. Die Verachtung für Politik und Medien hat also bei vielen Menschen auch mit der eigenen Faulheit und Wirklichkeitsvermeidung zu tun.
Womit haben sich, wenn man das so sagen kann, Politiker und Journalisten ihr schlechtes Ansehen erarbeitet?
Durch Feigheit, Kurzsichtigkeit und Betriebsamkeit. Sie haben den Menschen die grundlegenden Steuerungsprobleme der Gesellschaftsordnung schöngeredet, sie haben sich von Krise zu Krise gehangelt und sie haben bis heute einfach weitergemacht, als hätte niemand die Erdstöße gespürt. Aber alle wissen inzwischen halb und halb bewusst: So geht es nicht weiter. Die Pole schmelzen, Plastik vergiftet die Ozeane, Hormone und Gülle verpesten das Trinkwasser, Industriestaaten sind überschuldet, Dieselbetrüger oder Banken oder Digitalkonzerne machen sich über den Rechtsstaat lustig, unsere Klamotten kommen aus Kinderarbeit, unsere Waffenexporte erzeugen Flüchtlinge. Diesen Tiefenbeben ist das Klein-Klein in Medien und Politik offenkundig nicht gewachsen.
Guter Journalismus galt immer als Eckpfeiler der Demokratie, als Kitt der Gesellschaft. Ist das Vergangenheit?
Im Gegenteil. Die Menschen sind auf der Suche, voller verschobener Angst, viele suchen neue Wege. Wenn ein Macron oder ein Trump kommt oder eine Fünf-Sterne-Bewegung, gibt es rasch mal einen Erdrutsch. Es fehlt ein solidarisches, nachhaltiges Politikprojekt, das Mehrheiten ansprechen kann. Medien bieten in dieser Lage Argumente und Orientierung an. Sie steuern, zusammen mit Wissenschaft und Recht, unseren Interdiskurs, also den geistigen Raum wahrheitsfähiger Aussagen in unserer Gesellschaft. Je verrückter die kleinen Deutungsinseln im Internet werden, je weniger politische und wirtschaftliche Bildung viele Menschen haben, desto unersetzlicher wird der Interdiskurs als große Linie der Orientierung für alle. Medien mögen also Vertrauen bei manchen verlieren, aber sie gewinnen an Gewicht als selbstverständliche Grundlage unserer gesellschaftlichen Verständigung. Das sollten sie weitermachen, aber ruhigere, informativere und weisere Formate dafür suchen. Damit experimentieren sie, aber da stehen wir alle am Anfang.
Sind die Zeiten endgültig vorbei, als Presse, Funk und Fernsehen den öffentlichen Dialog steuerten, kanalisierten und auch zivilisierten?
Nein, die meisten Menschen bleiben dabei, die jüngeren wechseln allenfalls aufs Smartphone. Aber manche alten Formen erzeugen Brechreiz. Die Diskussion über die großen Talkshows ist seit zehn Jahren überfällig. Da lassen sich eitle Streithähne von eitlen Moderatoren aufeinanderhetzen. Die machen regelrecht Themen, zum Beispiel seit Jahren durch etwa eine Talkshow zu Migration pro Woche. Die vermeintlich neuen Formen von Orientierung im Internet sind auf der anderen Seite gar nicht neu. Das sind ja vor allem zwei: Der Blogger tritt an die Stelle des Meinungsführers im Dorf, als dort halt nur einer überhaupt eine Zeitung hatte. Und die Echokammer, wo alle der gleichen Meinung sind, tritt an die Stelle der Sekten und der vielen abgelegenen Täler der Ahnungslosen. Beides gab es ja bis zum Ersten Weltkrieg gar nicht knapp. Beides wurde überwunden. Und heute stehen wir wieder in einem Lernprozess, wie wir eigentlich Wissen sinnvoll organisieren, ohne von den ganzen Eindrücken und Informationen blöd oder angeödet zu werden.
Sind sich manche politische Journalisten und politische Eliten zu nahe gekommen?
Ja klar, das ist eine Kumpelwirtschaft. Sie sind als Politiker nix, wenn Sie einfach fleißig ihre Akten lesen und in Ausschüssen gute Ideen hatten und das Land voranbringen, das sieht ja keiner. Rampenlicht bedeutet politische Karriere, das macht die Lampenschwenker wichtig. Aber die brauchen auch eine gute Aufführung, sonst schaut niemand zu. Das Publikum hat halt zunehmend das Gefühl, nur Publikum zu sein und ein Theaterstück vorgeführt zu bekommen. Die Republik verliert so ihre Würde.
Steht das „Menschelnde“ auch in der Berichterstattung über Politik oft zu sehr im Vordergrund?Es geht um Quoten und Auflagen, nicht um Wahrheit und Aufklärung. Zeitungen müssen Leser glücklich machen, und die öffentlich-rechtlichen Sender müssen um Popularität kämpfen, seit die Populisten in ganz Europa ihre Abschaffung verlangen oder sie gleichzuschalten anfangen wie in Polen oder Ungarn. Kann man ja politisch und wirtschaftlich alles verstehen. Aber viele Journalisten kostet das die Existenz, weil zum Beispiel nur noch kleine Redaktionen für ganze Mediengruppen arbeiten. Es herrscht enormer Anpassungszwang: Was kommt gut an? Und da sind halt die gängigen Themen mit den gängigen Gesichtern eine sichere Bank.
Haben professionelle Journalisten überhaupt noch eine Chance, im Twitter-Facebook-Blogger-Zeitalter gehört zu werden, wo sich jeder Journalist nennen kann?
Doch, unbedingt. Das zeigen Erhebungen: Auch unter Jüngeren ist das Vertrauen in Zeitungen und öffentlich-rechtliche Sender weit stabiler als das in Internet-Schnickschnack. Wer einen inneren Qualitätskompass hat, findet im Internet unglaublich viel wertvolles Wissen und Texte, das ist doch toll. Wir brauchen endlich solide Digitalbildung in den Schulen. Im Unterscheidungsvermögen stecken unabdingbare Querschnittskompetenzen, Klickibunti reicht nicht. Das müssen wir als Gesellschaft jetzt Schritt für Schritt entwickeln und umsetzen.
Was bedeuten derlei Veränderungen für das demokratische Funktionieren unserer Gesellschaft?
Rasche Profite für Gefühlspolitik. Je unklarer die Sachlage, je unsicherer die Zukunft, je langweiliger das Hickhack, desto mehr verlassen sich Menschen auf ihr Bauchgefühl. Viele genießen, dass sie unterdrückte Gefühle rauslassen dürfen, vor allem Aggression. Die Kommentare im Internet sind dabei Vorreiter, auch wenn dort natürlich rechtsextreme Trollfabriken gezielt Stimmung machen. Gefühlspolitik schafft rasch breite Strömungen – Trump, Brexit, Populismus.
Hat sich Ihrer Meinung nach die Haltung gegenüber Politikern grundsätzlich geändert?
Ja. Wir hatten ein Jahrzehnt, in dem eine Mehrheit auf stabiles, ruhiges Wachstum und bequemen Wohlstand großen Wert gelegt hat. Und jetzt stellen die Menschen auf einmal fest, dass Deutschland dadurch Probleme verschleppt hat und den Anschluss verpassen könnte, weil die Politiker gar keine Lösungen in der Tasche haben. Jetzt wollen sie langfristige Entwürfe, aber sie haben ja gerade Politiker gewählt, die damit nix am Hut hatten, vor allem Angela Merkel. Da herrscht eine tiefe Ernüchterung, und viele müssen jetzt erst wieder realisieren, dass man die eigentlichen Entscheidungen in der Demokratie nicht an die Politiker abschieben darf, sondern selbst mit Engagement und Wahl die Weichen stellt.
Ist der Anspruch überhaupt erfüllbar: Die einen sollen stets möglichst objektiv berichten, die anderen Tag und Nacht nur das Wohl des Volkes im Sinn haben?
Hohe Erwartungen an Amtsträger und Medien sind in Ordnung. Aber uns muss immer klar sein: Politik und Wahrheit sind gemeinsame Güter, die entwickeln wir zusammen. Psychologisch gesehen, eine Co-Konstruktion. Objektivität der Berichterstattung entsteht nicht durch meinungsfreie Journalisten, sondern wir müssen selbst ein tragfähiges Bild der Welt im Kopf zusammensetzen. Weitblickende Politik entsteht nicht im Hinterzimmer des Ministeriums oder des Parteitags, sondern wir alle bieten genug Unterstützung für bestimmte Wege und lassen andere verkümmern.
Wie sollen Politiker und Journalisten auf Bürger reagieren, die sich komplett der öffentlichen Diskussion entziehen und allein in ihren Internetgemeinden kommunizieren, die auf Radikalität, Zuspitzung und Ausgrenzung anderer Ansichten basieren?
Beleidigungen, Drohungen und Verleumdung verfolgen und auch die Internetanbieter dazu verpflichten, sonst gar nichts. In der Demokratie haben Menschen das Recht auf Blödheit und Verbohrtheit. Wir müssen stattdessen vernünftige Auseinandersetzungen, Wahrheitsliebe und Verantwortungsbewusstsein stärken. Das ist eine langfristige Aufgabe, für uns alle, besonders für die Bildungseinrichtungen.
Fehlen heute Politikertypen wie einst Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl oder Franz Josef Strauß? Die großen Alten? Oder ist das sentimentaler Quatsch?
Für Erfolg braucht man allemal auch viel Glück. Und Strauß war nicht groß, sondern Weltmeister im Skandalesammeln. Der Kult der großen Männer spiegelt den verbreiteten Wunsch nach transformationaler Großgruppenführung, also dass uns jemand durch die Krisen lotst, ein Macron eben. Es gibt aber einen Unterschied zu früheren Generationen: Willy Brandt stand für ein geschichtliches Programm von Befreiung und Gerechtigkeit, für den demokratischen Sozialismus. Solche Programme haben wir uns abgewöhnt, und jetzt fehlen sie uns. Was die Sozialdemokratie mit dem Kapitalismus national geschafft hat, nämlich ihn zu zähmen, das brauchen wir in den kommenden Jahren international.
Interview: Bernhard Honnigfort