Unterm Mäntelchen der Spannung
Litprom lässt im Frankfurter Literaturhaus über den Kriminalroman diskutieren.
Die „Weltempfänger“-Bestenliste des Vereins Litprom hatte noch nie Berührungsängste mit einem Genre, dessen rares Auftauchen auf Long- oder Shortlists für literarische Preise hierzulande noch jedes Mal Erstaunen auslöst: dem Kriminalroman. Die Parteinahme für vernachlässigte Buchwelten scheint von Anfang an eine inklusive gewesen zu sein – sicher ist auch die bei uns übliche Trennung in Hoch- und Unterhaltungsliteratur nicht überall auf der Welt gleich fest verankert. So ist es wohl kein Zufall, dass es am Wochenende der Verein Litprom war, der mit seinem diesjährigen Literaturtage-Motto „Global Crime“ das Nachdenken über Spannungsliteratur ins Frankfurter Literaturhaus brachte. Man hat damit freilich einen großen Brocken abgebissen: Bis zu 30 Prozent der Gesamtbelletristik macht der Krimi in manchen Ländern aus. Und das Genre hat sich in den vergangenen Jahren rasant diversifiziert, viele ambitionierte Autoren loten die Grenzen nicht mehr nur aus, sondern reißen sie gleich ganz ein.
Zu zwei Podien und sechs Werkstattgesprächen (die eigentlich auch Podien waren) mit unterschiedlichen Themen wurde geladen, die beteiligten Autorinnen und Autoren kamen aus Argentinien, Australien, Brasilien, Haiti, Hongkong, Korea, Südafrika, Uruguay und Deutschland. Allesamt gehören sie zu den oben erwähnten Ambitionierten; der Graben verläuft heute nicht mehr so sehr zwischen den Genres, als vielmehr innerhalb des Genres zwischen der Gebrauchsliteratur, die beliebte und erfolgversprechende Rezepte endlos kopiert, und dem Spannungsroman mit literarischem Anspruch, der in einer ganz anderen Liga spielt. Über die schnelle Zuglektüre kann man zwar auch sprechen, aber lohnend mit Blick auf Ästhetik, Bedeutung und Zukunft des Genres ist nur der literarische Krimi.
„Kriminalliteratur als globaler Code“ war das Eröffnungspodium am Freitagnachmittag überschrieben, doch es ging auch sofort um Qualität und wie sie entsteht. Die Brasilianerin Patrícia Melo sieht Krimiautoren in der Tradition der griechischen Tragödie, Vorrang hat bei ihr stets die menschlich plausible, „ein bisschen zweideutige“ Figur. Lange habe sie gegen das Etikett der Krimiautorin gekämpft, gibt sie zu, dann eingesehen, dass solche Zuschreibungen „ein Bedürfnis des Marktes“ sind. Allerdings: Wer sich Sorgen wegen des Marktes oder der Leser mache, der mindere die Qualität seiner Arbeit. Der deutsche Schriftsteller Oliver Bottini nimmt das Krimi-Etikett mit einem „das passt schon“ an, denn er bediene sich ja der Muster des Genres – freilich legt er Wert auf die Feststellung, dass er sowohl diese Muster reflektiert einsetzt als auch Klischees vermeidet.
Bottini hob zwar mehrfach auf die Bedeutung der Sprache ab – „hochwertig“ müsse sie sein -, gleichzeitig findet er, man müsse Autoren für das „in die Verantwortung nehmen“, was sie schreiben. Beim Eröffnungspodium, vor allem aber auch beim Werkstattgespräch „Hat Verbrechen ein Geschlecht?“ (wo Bottini die erkrankte Merle Kröger ersetzte) wurde der Kriminalroman als Spiegel der Gesellschaft und politische Literatur diskutiert. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass einerseits die Erwartung, der Kriminalroman sei in besonderem Maße gesellschaftskritisch und politisch, von den Lesern an ihn herangetragen wird; dass andererseits auch die Autoren sich in der Pflicht sehen, Stellung zu beziehen – und nochmal mehr die Autorinnen.
Bezeichnenderweise wurde davon ausgegangen, dass Melo und ihre uruguayische Kollegin Mercedes Rosende Expertinnen in Sachen Verbrechen gegen Frauen sind. Es wurde folglich mehr über die furchtbare Realität gesprochen, als über Literatur, Form, Ästhetik. In Brasilien, so Melo, wird im Schnitt alle zwei Stunden eine Frau umgebracht, alle zehn Minuten eine vergewaltigt. Rosende sprach vom seit Jahrhunderten verankerten, von männerdominierten Institutionen gestützten „Heteropatriarchat“, das die Literatur immerhin in Frage stellen könne. Melo gebrauchte die Formulierung vom „Widerstand leisten“ mithilfe Literatur.
Beide wussten auch zu berichten von den Hindernissen, denen sie beim Recherchieren begegnen. Melo von der „väterlichen Warnung“, man solle doch lieber nicht mit Gefängnisinsassen sprechen. Und der Insinuation, für das Thema organisiertes Verbrechen müsse man intelligenter sein, als es eine Frau sei. „Was, ein Roman mit einem Granatwerfer?“ bekam Rosende zu hören, als sie Auskunft über technische Details von Waffen suchte, dazu ungläubiges Lachen. („Krokodilstränen“ wurde übrigens ein erfolgreicher Roman mit einem Granatwerfer.)
Weitgehende Einigkeit gab es auf dieser Krimikonferenz darüber, dass das Genre gute Möglichkeiten bietet, „Themen wieder in die Welt zu holen“ (Bottini), beziehungsweise, dass der Kriminalroman sogar die Aufgabe habe, „zu sagen, was die Presse nicht mehr sagt“ (Rosende). So sehr wurde – auch aus aktuellen Anlässen von Bolsonaro über Trump bis zur AfD – an diesem „Global Crime“-Wochenende Politik zum Thema, dass die literarisch beeindruckende Entwicklung der Gattung kurz kam. Das ästhetische Gespräch müsste nun weitergehen.