Denis Scheck und Cancel Culture: „Wer keine weiche Birne hat, kauft harte Äpfel aus Halberstadt!“

Der Literatur-Experte über die Kunst der Sprachmagierin Erika Fuchs, den Charme von Dagobert Duck und die endlosen Debatten über politisch korrekte Sprache in Kunst und Kultur
Herr Scheck, sind Sie mit Donald Duck groß geworden?
Mit Donald, mehr aber noch mit Onkel Dagobert – und mit den alliterationssüchtigen Texten von Dr. Erika Fuchs. Sie hat die Sprechblasen der Enten quasi ins Stahlbad der deutschen Klassik getaucht.
Als Kind oder Jugendliche und Jugendlicher macht man sich ja über die Übersetzungsqualitäten von Comics keine Gedanken. Wann haben Sie bemerkt, dass hier mit Erika Fuchs eine Künstlerin am Werk war?
Och, ich habe ja selbst mit 13 mit Übersetzen begonnen und fand damals Anschluss an einen Stammtisch von literarischen Übersetzern in Stuttgart. Da lernte ich die deutschen Stimmen etwa von Tolstoi, Samuel Beckett, Vladimir Nabokov oder Dorothy Sayers kennen – Rosemarie Tietze, Elmar Tophoven, Klaus Birkenhauer und Otto Bayer zum Beispiel. Und die waren sich eigentlich alle einig, dass Dr. Erika Fuchs eine große Sprachmagierin ist, von der sich viel lernen lässt. Ich hatte das Vergnügen, mit dem grandiosen Shakespeare-Übersetzer Frank Günther befreundet zu sein. Der hatte als Kind mit einem Aufsatz ein Preisausschreiben in der „Micky Maus“ gewonnen und durfte deshalb nach Disneyworld in Florida fliegen. Den Preis hat ihm damals Dr. Erika Fuchs zuerkannt und damit quasi den Perlsamen zu seiner späteren übersetzerischen Glanztat gelegt, so nah liegen Donald Duck und Shakespeare beieinander.
Fuchs hat als Übersetzerin der Donald-Duck-Comics von Carl Barks Kultstatus, weil sie für jede Ente einen eigenen Sprachstil erfunden hat. Dagobert beherrscht die Grammatik aus dem Effeff. Donald schwankt zwischen poetischen Phrasen und Wutausbrüchen. Tick, Trick und Track sprechen im damals gebräuchlichen Jugendslang. Welche Figur mögen Sie am liebsten?
Ganz klar Onkel Dagobert - die ganze Eleganz der Fuchschen Nachdichtungen merken Sie schon an winzigen Details, wenn Sie ein amerikanisches „No!“ bei Onkel Dagobert zu einem „Mitnichten!“ werden lässt und so seine Generation und seinen Bildungsstand perfekt in einer Sprechblase unterbringt.
Besonders berühmt wurde Fuchs‘ Stilmittel des Inflektivs – ihr zu Ehren auch Erikativ genannt – der Eingang in den deutschen Sprachgebrauch gefunden hat: grübel, würg, studier. Auch Lautmalereien wie Krawumm und Klickeradoms hat Frau Fuchs regelmäßig eingesetzt. Inwiefern sind diese Wortschöpfungen literarisch wertvoll?
Klickeradoms stammt, glaube ich, von Wilhelm Busch. Der Erikativ und die Onomatopöien sind natürlich der Königsweg zur Freude an der Sprache – und wenn diese Sprachlust nicht dafür sorgt, dass glücksverheißende Endorphine in ihrem Gehirn ausgeschüttet werden, sobald Daisy Duck sagt: „Du trommelst den Trupp des Kreuzstichclubs zusammen – ich komme mit einem Geschwader der Freundinnen feiner Filetarbeiten angewetzt“, dann ist man für die Literatur vermutlich verloren. Mit einem solchen Menschen würde ich übrigens auch ungern das Bett teilen.
Benutzen Sie selbst solche Ausdrücke?
Allerdings. Ich kann an keinem Obststand vorbei, ohne dass mir einfällt: „Wer keine weiche Birne hat, kauft harte Äpfel aus Halberstadt!“
Zur Person
Denis Scheck, geboren 1964, lebt in Köln. Als iterarischer Übersetzer und Herausgeber engagierte er sich für Autoren wie Michael Chabon, William Gaddis und David Foster Wallace, Antje Ravic Strubel und Judith Schalansky.
Heute ist er Moderator der Fernsehsendungen „Lesenswert“ im SWR und „Druckfrisch“ in der ARD. Zuvor arbeitete er lange Zeit als Literaturkritiker im Radio.
„Schecks Kanon“, sein jüngstes Buch, erschien 2019 in der 4. Edition bei Piper.
Die Petition „Hände weg von DonaldDuck! Keine Zensur klassischer Comic-Geschichten“ läuft bei change.org.
Sie haben Erika Fuchs in den achtziger Jahren mal besucht. Was war sie für ein Mensch?
Ich bin von Herzen froh, sagen zu dürfen, dass sie mich menschlich schlicht begeistert hat. Oft ist es ja gar nicht so angenehm, den literarischen Helden seiner Kindheit in personam zu begegnen. Ich bin daher auch ganz froh, dass ich nie Arno Schmidt oder Thomas Bernhard begegnet bin. Aber Erika Fuchs hatte diese wunderbare pommersche dialektale Färbung – ihr Geburtsort Belgard an der Persante klingt ja wie von ihr erfunden -, sprach sehr liebevoll von ihrem Mann, einem Erfinder und Fabrikanten, der sie an Daniel Düsentrieb erinnerte, und von ihrer ursprünglichen Sehnsucht, Autoren wie Jane Austen zu übersetzen. Ein bisschen erinnerte sie mich an die hilfsbereite Ellermutter des Teufels aus dem Grimmschen Märchen „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“.
Inzwischen häufen sich die Proteste, weil der Egmont Ehapa Verlag die Fuchs-Übersetzungen politisch korrekt bearbeitet. „Fridolin Freudenfett“ heißt jetzt „Fridolin Freundlich“, diskriminierende Begriffe wie „Indianer“, „Zwerg“, „Eingeborener“ oder „Bleichgesicht“ werden ersetzt. Was spricht dagegen?
Ach, diese ewigen Debatten gehen mir inzwischen doch ein bisschen auf den Senkel, weil man so gar keinen intellektuellen Fortschritt zu verzeichnen meint. Natürlich ist, wer heute solche Begriffe unreflektiert gebraucht, wohl irgendwann blöd vom Wickeltisch gefallen. Und selbstverständlich steht es uns allen frei, täglich klüger zu werden – also auch sensibler und rücksichtsvoller im Umgang mit anderen. Selbstverständlich hat jede, jeder und meinetwegen auch jedes das Recht zu definieren, wie er, sie oder es angesprochen werden möchte.
In der Kunst gelten andere Regeln als in einer Stellenausschreibung.
Wenn ich betrachte, welchen Weg wir da gesellschaftlich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten zurückgelegt haben, bin ich fast ein bisschen stolz auf unser Land. Aber in der Kunst gelten andere Regeln als in einer Stellenausschreibung. Da darf aus „Zwerg Nase“, dem wunderbaren Text meines schwäbischen Landsmanns Wilhelms Hauff, kein „Kleinwüchsiger Nase“ werden. Und da das Werk von Dr. Erika Fuchs ganz zweifellos Kunst ist, sollen da bitte keine Bearbeiterhände drin rumschmieren. Wenn man von Verlagsseite glaubt, man könne diese Texte heutigen Lesern nicht mehr zumuten, dann soll man bitte die Rechte einem Verlag überlassen, der das anders sieht. Wie heißt es in Luthers Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ so schön: „Das Wort sie sollen lassen stahn.“

Gilt das auch für Kinderbücher und Klassiker?
Aber unbedingt.
Glauben Sie nicht, dass sich Menschen mit Adipositas oder Angehörige indigener Volksgruppen von bestimmten Namen und Begriffen verletzt fühlen könnten?
Doch. Aber verletzt zu werden gehört zur Erfahrung des Menschseins. Wo es Schöne gibt, wird es auch immer Hässliche geben. Aber wie gesagt: Jedem steht es frei, sein Denken einem Upgrade zu unterziehen. Wir können gesellschaftlichen Fortschritt erzielen, ohne deshalb unser kulturelles Erbe in den Museen und Bibliotheken zu verfälschen.
Sie gehören, neben Elfriede Jelinek, zu den mehr als 9000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern einer Petition der „Präsidente“ der Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus (D.O.N.A.L.D.) Susanne Luber. Mit „Hände weg von Donald Duck! Keine Zensur klassischer Comic-Geschichten“ will sie den Egmont Ehapa Verlag zum Umdenken bewegen. Glauben Sie, damit lässt sich etwas erreichen?
Nicht so viel wie mit einer Handvoll Panzerknacker. Aber es ist ein Anfang. (Interview: Sandra Danicke)