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Weiße Kinder sind leichter zu vermitteln

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Spielende Kinder in London. Leon hat nicht viel Zeit dafür.
Spielende Kinder in London. Leon hat nicht viel Zeit dafür. © REUTERS

Eindringlich: Die englische Anwältin Kit de Waal beschreibt in ihrem Debütroman „Mein Name ist Leon“ die Situation eines Kinder, das im London der achtziger Jahre unter prekären Verhältnissen auswächst.

Von Cornelia Geissler

Als Leon großer Bruder wird, bleibt er gleich am ersten Tag eine Weile mit dem Baby allein. Er solle ihm etwas erzählen, sagt die Krankenschwester, während Carol, seine Mutter, im Raucherraum verschwunden ist. Die Autorin Kit de Waal lässt sich in ihrem Debütroman durchgängig auf die Perspektive Leons ein.

Sie erzählt, wie ein Neunjähriger Anfang der achtziger Jahre in prekären Verhältnissen in London aufwachsen konnte. De Waal hat selbst lange als Anwältin im Bereich des Straf- und Familienrechts gearbeitet – es ist zu spüren, dass sie die Situation kennt, über die sie schreibt.

Auf den ersten Seiten erteilt de Waal Leon direkt das Wort. Die Mutter sei sehr schön, das sagten alle. „Ich finde, du siehst aus wie sie. Ich nicht. Ich sehe aus wie mein Dad. Mum sagt, dass er farbig ist, aber Dad sagt, dass er schwarz ist, aber das stimmt beides nicht, weil er nämlich dunkelbraun ist und ich hellbraun bin.“ Den Vater des Babys Jake kennt Leon nicht. Sein eigener Vater aber sitzt im Gefängnis.

Leon wird noch oft mit seinem Bruder allein sein, und die Autorin schildert die ungelenke Fürsorge mit großer Sympathie. Die Mutter findet keinen Ausweg aus ihrer Depression, die letzte Freundin wendet sich ab.

Leon lernt im Verlauf des Romans das britische Sozialsystem kennen, verschiedene Pflegemütter, amtliche Betreuerinnen und deren Kontrolleure. Er wird erfahren, dass es leicht ist, für ein weißes Kleinkind neue Eltern zu finden. Er aber ist schwer vermittelbar in einer Stadt, wo die Polizisten (weiß) auf Randalierer (schwarz) einprügeln.

Unreflektiert sammelt der Junge Erfahrungen. Er registriert, wie Erwachsene schlecht übereinander reden, wie Verwandte sich fremd sind. Diese Unmittelbarkeit wird zur großen Stärke dieses aufwühlenden Romans.

Die Welt in Schritten

Leon begreift die Welt in Schritten. Vieles, was Kit de Waal ihn in Momentaufnahmen erleben lässt, trifft den Leser hart in seinem Gerechtigkeitsgefühl. Als Leon endlich Freunde findet, verbindet sich damit die Angst, dass es die falschen sein könnten, weil sie erwachsen sind.

Doch das letzte Kapitel, das mit der Zeitangabe „Am Tag der königlichen Hochzeit“ beginnt, klingt mit einem Hauch Hoffnung aus. Damals heiratete Prinz Charles Lady Diana.

Kit de Waal: Mein Name ist Leon. Roman. A. d. Engl. v. Katharina Naumann. Rowohlt Polaris 2016. 320 S., 14,99 Euro.

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