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Weder Abscheu noch Idealisierung

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Marie-Antoinette vor dem Revolutionstribunal.
Marie-Antoinette vor dem Revolutionstribunal. © imago/Leemage

Die Historikerin Sophie Wahnich analysiert die Exzesse der Gewalt in der Französischen Revolution, um Unterschiede zum heutigen Terrorismus zu verdeutlichen.

Von Harro Zimmermann

Nicht erst seit den jüngsten Terror-Anschlägen ist die zivilisierte Welt darin einig, dass es sich bei dem „Heiligen Krieg“ der Islamisten um eine zutiefst fanatisierte, hassgeprägte und verabscheuungswürdige Form von Gewalt handelt. Und wenn einem die Worte dafür fehlen, greift man gern zurück auf die Annalen der blutigen Menschheitsgeschichte, etwa auf die so genannte Schreckensherrschaft während der Französischen Revolution.

Die jakobinischen Blutsäufer von ehedem gelten dann als die Urväter alles Bösen in der modernen Historie, als Ahnen jedweden Totalitarismus, als die ersten Protagonisten einer religiös durchglühten politischen Vernichtungswut in der Menschheitsgeschichte. Immanuel Kant hatte noch vom Faszinosum dieser Revolution gesprochen und von einer humanen „Theilnehmung dem Wunsche nach, die nahe an Enthusiasm grenzt.“

Doch was ist daraus geworden? „Aus Liebe zur Menschheit müssen wir unmenschlich sein“, hatten die Pariser Revolutionäre verlautbart – lag darin nicht der Ausbund einer abgründigen politischen Perversion?

Mit Rückprojektionen sind wir schlecht beraten, sagt sie

Sophie Wahnich rät zur Vorsicht, sie plädiert vielmehr für einen historischen Neuzugang zu den Ursprungsphänomenen der Gewalt, besonders um den Terrorismus der Gegenwart besser zu begreifen, und uns als Staatsbürger gegen den Furor der heutigen demokratischen Anti-Terror-, ja Kriegszurüstung besser zu wappnen. Auf keinen Fall sollte man den Terror von 1793/94 als Wiederkehr des Primitiven, oder als Abart eines religiösen Fanatismus deuten, überhaupt seien wir grundsätzlich schlecht beraten bei der Rückprojektion heutiger demokratischer Sensibilitäten auf die alten Verhältnisse.

Der jakobinische Terror, ausgeübt durch den Wohlfahrtsausschuss, die Nationalversammlung und die Revolutionstribunale unter der Kriegsdrohung der alliierten Mächte Europas, besaß damals Gesetzesstatus. Er beruhte auf parlamentarischen Entscheidungsprozessen. Das bedeutet für seine historische Rekonstruktion von heute – dieser Terror hatte etwas mit Kultur und sozialem „Gestaltungsdrang“ zu tun und besaß die Dignität einer „Gründungsgewalt“.

Man muss ihn in der Verschlungenheit von Freiheit, Souveränität und Gleichheit betrachten. Weder Abscheu, noch Idealisierung helfen weiter, wir sollten begreifen, so Wahnich, dass diese Revolution nicht das „Andere“ der Demokratie darstellt, sondern den Inbegriff ihres historischen Gründungsprozesses. Die Umwälzung von 1789 mitsamt ihrer Gewalteruption ist als eine Art politisches Laboratorium zu beurteilen.

Das klingt zunächst einmal nach der provokanten Forschungsthese einer arrivierten Historikerin. Doch wer sich dem Scharfsinn der Autorin anvertraut, begreift bald, dass der Terror der Französischen Revolution mit dem Terrorismus nach Art des 11. September 2001 tatsächlich unvergleichbar ist, weil er von einem Regime der Volkssouveränität ausging, das kraft kollektiver Entscheidungen die Adelstyrannei besiegen oder für die Freiheit sterben wollte.

Diese Gewaltentwicklung sei nicht unausweichlich gewesen, sondern ein Ergebnis der Tatsache, dass man anders den blutigen Volkszorn nicht mehr habe eindämmen können. Allein durch Akte von Legislatur und Rechtsprechung und die politische Neuorganisation einer Zivilreligion, die den souveränen Volkskörper zu einer Art sakralisiertem Verfassungsmythos erhob, ließ sich die Gewalt (zeitweise) in Ordnungsbahnen lenken.

Die Armen in ihre Menschenrechte setzen, eine gespaltene Gesellschaft wieder zur Einheit bringen – dafür sind zur Zeit der Revolution 1376 Menschen auf dem Schafott gestorben, ein grenzenlos bestialisches Mordfest, wie so viele behaupteten, veranstalteten die Jakobiner nach Wahnichs Überzeugung nicht.

Mit feinstem Analysebesteck untersucht die Autorin die Revolutionsstaatlichkeit 1793/94: „Die Forderung, den Terror auf die Tagesordnung zu setzen, war gleichbedeutend mit der nach einer Politik, die unablässig die Heiligkeit der Gesetze sowie den normativen Wert der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte bekräftigen und den Feinden des Vaterlandes mit Vergeltung und Strafe drohen sollte.“

Souveränität als vergeltende Instanz

Im Terror eignet sich das Volk die ihm zustehende Souveränität als vergeltende Instanz an, das all dem zugrundeliegende Entsetzen vor der Gewalt mutiert zu begeistertem Gemeinsinn und zu defensivem Gesetzeshandeln gegenüber Feinden des Vaterlandes. Die Nation bringt sich zur Erscheinung als ein „wohldisziplinierter Körper.“

Idealiter zielt der Terror also auf die Befriedung des menschlichen Daseins, der Zorn des Volkes muss dazu die Qualität einer neuen Heiligkeit annehmen, er darf nicht wahllos oder willkürlich agieren, sondern nur rechtsförmig, jede „Opferung des Lebens muss zugunsten eines guten Lebens erfolgen“.

Wenn Wahnich die historische Logik des Terrorismus als demokratisches Gründungsphänomen untersucht, wird sie gewiss nicht zur Verteidigerin jenes Gewaltfurors. Aber sie wendet sich gegen das anachronistische Ineinanderschieben von Phänomenen und Urteilskriterien. So wenig wie es einen Zusammenhang des heutigen islamistischen Terrorismus mit der terreur von 1793/94 gibt, dürfen wir diese revolutionäre Eruption als Ursprung des politisch Wahnhaften verteufeln.

Der Terror von einst stellt für die Autorin eine Art demokratischen Selbstversuch in Sachen Aufklärung dar. Letzterer ist auch ihr Buch verpflichtet, dieser geistreiche Appell an die Bürgersouveränität des 21. Jahrhunderts.

Republikaner sein heißt demnach, das Menschenrecht der gewaltsam Enteigneten und Vertriebenen zu wahren, und im gegenwärtigen Anti-Terrorismus-Kampf jeder unkontrollierten Kriegsstimmung bei den staatlichen Exekutiven mit Widerstand zu begegnen.

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