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Viele Besucher und fast noch mehr Tüten

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Von: Florian Leclerc

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Viele Menschen, viele Tüten.
Viele Menschen, viele Tüten. © Michael Schick

Schön war’s mal wieder: Die Frankfurter Buchmesse 2016 ist vorbei. Zum Abschluss kommen Zehntausende aufs Messegelände.

Menschen, alles voll mit Menschen auf der Frankfurter Trubelmesse am Samstag, aber auch mit Tüten, alles voll mit Tüten, so weit das Auge reicht. Was ist da bloß drin? Eine Tütologie.

„Thank God it’s Friday“ (danke, Gott, dass es Freitag ist), steht auf dem grauen Beutel, dabei ist doch Samstag. Drin ist auch keine „FAZ-Woche“, das Verlagsprodukt einer befreundeten Zeitung, sondern zunächst mal „nichts“. „Die gab’s am Eingang“, sagt Katrin Löschel, „jetzt habe ich eine Zeitung reingepackt.“ Die Darmstädterin schaut nach Neuerscheinungen von Pädagogikverlagen, weil sie Erzieherin ist und sich für Sprachförderung interessiert. „Vorlesen, reimen, Wörter erfinden“, so lernten Kinder spielerisch und kreativ das Sprechen. Und, ja, ganz schön voll hier, „letztes Jahr am Besuchersonntag war’s angenehmer“.

Frankfurt ist auch in dieser Woche wieder gewachsen, um rund 275 000 Menschen, die sich während der Besuchertage in den Messehallen auf den Füßen standen und die Ellbogen in die Rippen knufften. Voll wie eine überquellende Tüte.

Manfred G. aus Berlin schleppt eine Langenscheidt-Tüte mit sich herum. Da ist bestimmt ein Wörterbuch drin oder so was. „Literaturbeilagen von Zeitungen“, sagt er, „die ist groß, da passt viel rein.“ Dann will er weiter, nach Kinderbüchern suchen, für seine Enkel. Hinein in den Trubel! Eine Was-ist-was-Tasche trägt Ute Depenbrock aus Erzhausen. Erinnert an Dinos, Wikinger, Bagger, eine Welt voller Erklärungen, die Generationen von Kindern gelesen haben. In der Tüte, nun ja, ein Katalog. Und Infos über Schulbücher und Religion. „Nicht zur Fortbildung, eher als Input“, sagt die Lehrerin.

Ihr Mann, Reinhold Depenbrock, trägt eine Tasche von Reader’s Digest. Lesen Sie das? „Nee. Unsere Mütter haben das getan. Aber die Tasche ist stabil.“ Dann überlegt er und sagt, einst habe er „Die Abenteuer des Tom Sawyer“ und „Moby Dick“ in Ausgaben des Reader’s Digest gelesen, leicht gekürzt, insgesamt vier Romane in einem Band. 40 Jahre sei das her.

Für heute haben die beiden das gesehen, was sie wollten, und lassen sich nun treiben. Vom Menschenstrom. „Zum Glück ist gerade nicht viel los hier“ – die beiden stehen etwas abseits im Forum, während die meisten sich eine ARD-Moderation anschauen – „sonst ist es schon sehr, sehr voll“.

Apropos ARD. Katrin aus Waldorf trägt das Gesicht von Denis Scheck mit sich herum. Das ist der, der in der TV-Sendung „Druckfrisch“ Bücher lobt oder verreißt und meint, die Entscheidung, Bob Dylan den Literatur-Nobelpreis zu überreichen, sei ein Witz.

Für den Literaturkritiker interessiert sich Katrin aber gar nicht, eher für Bücher über Naturwissenschaften und Geschichte – und den Schauspieler Florian David Fitz. Der hat bei einer Lesung ebenfalls Literaturtipps gegeben, die sicherlich die Zustimmung von Denis Scheck gefunden hätten. „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi etwa. Da kann man nichts falsch machen.

Ihren Urlaub will Katrins Mutter Sigrid möglicherweise mit Hilfe des ADAC buchen, dessen Tasche sie dabei hat, darin eine Broschüre über Antwerpen. „Da wollte ich noch hin.“ Zuvor hatten die beiden die volle Halle 3, wo die großen Verlage auftreten, verlassen und waren in die vergleichsweise leere Halle 5 gegangen, wo internationale Verlage ausstellen. „Zu den Franzosen. Wir sind frankophil.“ Très bien.

Infos zum Selfpublishing

Ars Edition, das ist Latein, und heißt Kunstausgabe, steht auf der Tasche von Monika Schubert. Darin ein Prospekt und Infos zum Selfpublishing (selbst veröffentlichen). „Ich würde auch gerne etwas schreiben“, sagt die Usingerin. Taunus-Krimis à la Nele Neuhaus? „Nicht unbedingt.“ Eher Science-Fiction-Romane wie die von Andreas Eschbach. „Wenn ich mir etwas wünschen könnte, würde ich gerne so schreiben können wie er.“ Die Zeit will sie sich nehmen, neben Arbeit und Familie. Gutes Gelingen!

Schon jetzt steht fest: Die Tüten sind reine Hilfsmittel zum Transport. Null Identifikation mit der Werbebotschaft. Am beliebtesten sind die großen, stabilen. Genommen werden meist die, die als Erstes angeboten werden.

Marion Retzer aus Kiefersfelden in Bayern interessiert sich in diesem Moment gar nicht so sehr für die Arbeit der Bundesregierung, deren Tüte vor ihr liegt. „Ich hab’ eine Tasche gebraucht.“ Sie setzt sich hin und wird mit Tüten und Rucksäcken vollgestellt. „Ihr jetzt los, ich pass’ auf“, ruft die Bayerin ihren knapp 20 Begleitern zu.

„Wir kennen uns von Facebook, aus der Gruppe ,Thrill&Crime Wohnzimmer‘“, erklärt Sonja Maurer. Dort machen 200 Leute mit, lesen Bücher und unterhalten sich darüber, und dann treffen sich die Menschen, mal in der einen Stadt oder der anderen, und immer wieder zu den Buchmessen, in Leipzig oder Frankfurt.

„Da sind Freundschaften entstanden“, erzählt sie. Die Frankfurterin nimmt nicht nur Besucher auf, sie reist auch durchs Land, „bestimmt zwölf Mal im Jahr“, sagt Maurer. Das Besondere an der Facebook-Gruppe: „Da wird nicht gezickt.“ Ätzende Kommentare gebe es nicht, der Austausch im Netz sei durchweg freundlich. „So was gibt es selten.“

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