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Luthers Hand auf Luthers Bibel, hier in Wittenberg.
Luthers Hand auf Luthers Bibel, hier in Wittenberg. © dpa

Die Evangelische Kirche hat nach vielen Mühen eine revidierte Luther-Bibel. Aber was bedeuten die bunten Seiten in der Mitte?

Von Dirk Pilz

Es gibt jetzt also eine neue Luther-Bibel. Es gibt sie in 14 verschiedenen Varianten, inklusive einer Jubiläumsausgabe. Zum Reformationstag, am 31. Oktober, wird sie in den evangelischen Gemeinden offiziell eingeführt, tags zuvor bereits, an diesem Sonntag, in einem ZDF-Fernsehgottesdienst in der Eisenacher Georgenkirche gefeiert. Zugleich soll mit dieser Bibel-Feier das Reformationsjubiläum eingeleitet werden – im kommenden Jahr gilt es, 500 Jahren Reformation zu gedenken. Die Kirche feiert es auf allen Kanälen, das Herzstück aber ist die neue Luther-Bibel.

Vom Rat der Evangelischen Kirche wird sie ausdrücklich als „maßgeblicher Text zum kirchlichen Gebrauch“ empfohlen. In der Mehrheit wird man sich daran halten. Allein deshalb ist dem von der Deutschen Bibelgesellschaft herausgegebenen Buch der Bestsellerrang sicher.

Viel gelesen wurde sie jedoch von Anfang an. Martin Luther hat im Dezember 1521 auf der Wartburg begonnen, das Neue Testament zu übertragen, bereits nach elf Wochen war er fertig. Gemeinsam mit sachkundigen Freunden, vor allem mit Philipp Melanchthon, ist er den Text durchgegangen, im September 1522 konnte das Neue Testament erscheinen, versehen mit 21 Holzschnitten aus der Werkstatt Lucas Cranachs. Schon im Dezember wurde eine zweite, verbesserte Auflage verkauft, obwohl sie teuer war, einem Handwerker kostete sie einen Wochenlohn.

Luther war dabei keineswegs der erste, der das Neue Testament ins Deutsche übersetzte. Aber er griff auf die griechische Originalsprache zurück, erstmals nach mehr als tausend Jahren seit dem Gotenbischof Wulfila. Er nutzte dabei die seinerzeit modernen Hilfsmittel, vor allem die 1519 erschienene kritische Textausgabe von Erasmus von Rotterdam. Und er war sehr erfinderisch; neue Vokabeln wie „Sündenbock“ oder „Lückenbüßer“ gehen auf ihn zurück. Für seine Sprachkraft wurde Luther deshalb jahrhundertlang gehuldigt, mitunter auch fälschlich idealisiert.

Vergessen wird darüber, dass er das Alte Testament nicht allein übersetzt hat – die erstmals 1534 erschienene vollständige Luther-Bibel war ein Gemeinschaftswerk, keine Einzeltat eines vorgeblichen Genies. Übergangen werden auch zumeist seine übersetzungstheoretischen Arbeiten, sein „Sendbrief vom Dolmetschen“ (1530) etwa. Luther hat ja bewusst nie von „übersetzen“, immer von „dolmetschen“ gesprochen. Denn die „Mitte der Bibel“ war für ihn immer das Evangelium, das er als „Predigt, von Christus geschehen“ begriff. Das Bibel-Dolmetschen hatte für ihn zum Ziel, einen Text zu schaffen, „auf dass du deinen Gott zu dir reden hörst“.

70 Fachleute, teils heftiger Streit

Diesem Ziel ist auch die jetzige revidierte Ausgabe verpflichtet. 70 Fachleute haben seit 2010 an ihr gearbeitet und intern teils heftig gestritten. Es gab viel zu entscheiden, die Änderungen gehen in die Tausende. Seit der letzten Revision ist viel Zeit vergangen: Das Neue Testament der Luther-Bibel wurde zuletzt 1984 überarbeitet, das Alte Testament 1964. Die Apokryphen, also nicht-kanonischen Schriften, wurden seit 1970 nicht mehr bearbeitet.

Im konsequenten Rückgriff auf den hebräischen und griechischen Urtext wurden nun viele Ungenauigkeiten und Fehler bereinigt, im Einzelnen oft nach komplizierter Abwägung zwischen wissenschaftlicher Korrektheit, sprachlicher Gestalt und theologischen Implikationen. Wenn Luther etwa im Buch des Propheten Jesaja „predigen“ schreibt, wo im Original eindeutig von „rufen“ die Rede ist, dann ist das Ausdruck seines Verständnisses von der Bibel als Evangelium. Das wurde in der neuen Ausgabe nicht geändert – man wollte einen Text vorlegen, der gleichermaßen vertraut wie verlässlich ist. Der Luther-Sound sollte erhalten bleiben, die Mängel früherer Revisionen wollte man korrigieren. Das ist aufs Ganze gesehen gut gelungen, auch wenn es zu teilweise strittigen Ergebnissen führte. Noch immer heißt es im ersten Satz des Alten Testaments „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“, wo es theologisch richtig heißen müsste „im Anfang“.

Problematischer ist jedoch, dass in der Jubiläumsausgabe gut 60 Seiten zu Luthers Biographie eingeheftet sind, irritierenderweise zudem ohne Autorennamen. Eine Luther-Bibel mit bunten Luther-Seiten – das wirkt, als ob Luther die Bibel geschrieben hätte. Und es verstärkt die heikle, weil die Reformationsgeschichte verzerrende Fixierung auf Luther, zumal hier oft die tendenziösen Selbstdeutungen Luthers seines reformatorischen Weges übernommen werden. Auf so wenigen Seiten ist ja auch kaum vermeidbar, dass Luther-Klischees weitergeschrieben werden, die Vorstellung etwa, Luther habe „Denkmuster“ der scholastischen Theologie „infrage“ gestellt.

Es gibt dankenswerterweise eine Parallelpublikation zur Geschichte der Luther-Bibel, um die gröbsten Missverständnisse wieder einzufangen. Luther hat, ist hier richtigerweise zu lesen, nicht mit dem Mittelalter gebrochen, sondern seine Theologie in enger Auseinandersetzung mit der scholastischen Tradition entwickelt. Ohnehin muss man Luther im Original lesen, um seine ambivalente Theologie zu begreifen. Es trifft sich hervorragend, dass die bestens kommentierte Deutsch-Deutsche und Lateinisch-Deutsche Studienausgabe in sechs Bänden jetzt vollständig vorliegt.

Übrigens haben auch die Katholiken über zehn Jahre an einer eigenen neuen Bibel-Übersetzung gearbeitet, der sogenannten Einheitsübersetzung. Sie wird Anfang 2017 erscheinen, pünktlich zum Reformationsjahr.

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