Die Verantwortung der Frauen
Eins, zwei, drei oder viele: Susanne Gaschke denkt nach über Kinderkriegen, Erfolg und Emanzipation
Von ANTJE SCHRUPP
Kritik am Feminismus kommt immer gut. Auch die Zeit-Redakteurin Susanne Gaschke hat dieser verbreiteten Unsitte leider nicht widerstanden und distanziert sich erst einmal deutlich vom "Traditionsfeminismus", bevor sie ihre eigenen Gedanken zu Papier bringt. Das ist schade, denn so werden schon im Klappentext falsche Fronten eröffnet. Denn in Wirklichkeit hat Gaschke selbst ein geradezu im klassischen Sinne feministisches Buch geschrieben.
Susanne Gaschke analysiert, ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen, die Lebenssituation von Frauen und fragt nach ihrer Verantwortung für die Gesellschaft: Welche Auswirkungen für die Allgemeinheit hat es, wenn Frauen für die Karriere auf Kinder verzichten? Warum ist es ihnen nicht gelungen, Männer für das Projekt einer gleichberechtigten Haushaltsführung zu gewinnen? Wo schaden sich Frauen langfristig selbst, wenn sie nur kurzfristig dem Zeitgeist hinterher hecheln? Und: Welche Wertvorstellungen liegen dem allen zu Grunde und wie wird die Debatte darüber geführt?
In der Sackgasse männlicher Ideale
Indem Gaschke die vielen, alltäglichen Entscheidungen, die Frauen für ihr Leben, ihre Berufs- und Privatbiografie treffen müssen, in den Kontext der gegenwärtigen Demografiedebatte stellt, schließt sie eine echte Lücke. Dass diese Debatte heute, der Frauenbewegung sei Dank, unter anderen Vorzeichen steht als noch vor 30 Jahren, nämlich unter den Vorzeichen von weiblicher Freiheit und nicht mehr von Diskriminierung und Unterdrückung, ist jedoch keine neue Erkenntnis, sondern schon lange Gegenstand feministischer Debatten (die allerdings im Mainstream-Journalismus, auch in der Wochenzeitung Die Zeit, selten reflektiert werden). Gaschke bringt es nur besonders schön auf den Punkt, wenn sie schreibt, dass Frauen heute "alle Chancen haben, sich das Leben nicht länger von Männern verpfuschen zu lassen, sondern es sich durch eigene falsche Entscheidungen schwer zu machen".
Klarsichtig zeigt die Autorin die Sackgasse auf, in die die Logik der Emanzipation dabei unweigerlich führt: Wenn Frauen nur männlichen Idealen und Biografien nacheifern, kann die Gesellschaft schlicht nicht funktionieren. Wenn niemand mehr die Hausarbeit erledigt, stabile und verlässliche Beziehungen pflegt, Alte und Kranke versorgt und, natürlich auch das, Kinder bekommt und sich angemessen um sie kümmert, zerfällt das soziale Gefüge.
Was also tun? Gaschke empfiehlt eine doppelte Strategie: Erstens sollen Frauen alte weibliche Tugenden wieder entdecken - ihre Lebenspartner nicht nur nach romantischen, sondern nach vernünftigen Kriterien auswählen, ihr Glück nicht allein in der beruflichen Karriere suchen, Haus- und Familienarbeit wertschätzen und vor allem: mehr Kinder bekommen.
Zweitens sollen sie sich die gesellschaftliche Relevanz ihrer privaten Entscheidungen bewusst machen und sie als Argument für die Aushandlung eines neuen Gesellschaftsvertrags in die Waagschale werfen. Indem sie beispielsweise darauf hinarbeiten, dass auch Männer ihren Anteil an der Haus- und Fürsorgearbeit übernehmen, dass Arbeitsverhältnisse und politische Rahmenbedingungen familiengerechter werden, dass soziale Ungleichheiten nicht mehr die Zukunftschancen von Kindern aus armen und bildungsfernen Schichten verbauen. Gegen all das wäre kaum etwas einzuwenden, wenn Gaschke nicht immer wieder den Eindruck erwecken würde, zu viel weibliche Freiheit laufe verantwortlichem Handeln entgegen, sei letzten Endes schädlich für die Gesellschaft. Statt in der Vielfalt weiblicher Lebensmodelle, die heute möglich sind, eine Chance zu sehen, will sie Frauen wieder auf einen einheitlichen Lebensstil einschwören - insbesondere auf die Mutterschaft.
Jede Frau eine Mutter?
Dabei sitzt die Autorin unter anderem dem weit verbreiteten statistischen Irrtum auf, dass die ideale Fertilitätsrate von zwei Kindern pro Frau am besten dann erreicht wird, wenn jede einzelne Frau diese zwei Kinder auch persönlich bekommt. So ist es aber nicht. In Ländern mit hoher Fertilitätsrate, den USA etwa, ist der Anteil von kinderlosen Frauen genauso hoch wie in Deutschland - nur dass diejenigen Frauen, die dort Mütter sind, nicht eins oder zwei, sondern drei, vier oder fünf Kinder haben.
Die Geburtenzahl in Deutschland ließe sich vermutlich erheblich steigern, wenn jede Frau ihre Kinderwünsche auch erfüllen würde: Schließlich wollen nur elf Prozent aller Frauen kinderlos bleiben, aber 30 Prozent bleiben es - und dabei sind die vielen Mütter, die weniger Kinder haben, als sie eigentlich möchten, noch gar nicht mitgerechnet.
Statt nun zu überlegen, wie dieses Potenzial ausgeschöpft werden könnte, nimmt sich Gaschke aber ausgerechnet diejenigen Frauen vor, die aus freier Entscheidung kinderlos bleiben. Eine "vollständige, erwachsene Frau" sei nur eine, die mindestens ein Kind geboren hat, behauptet sie allen Ernstes und glaubt, Kinderlose könnten eigentlich auch keine guten Lehrerinnen oder Politikerinnen sein. Das ist aber nun vollkommener Unsinn. Der alte Gegensatz zwischen Müttern und Nicht-Müttern, den sie aus der patriarchalen Mottenkiste holt, führt auf falsche Fährten. Denn wer nur ein Kind hat - wie Gaschke selbst , ist nicht nur statistisch gesehen, sondern neueren soziologischen Studien zufolge, auch in sozialer Hinsicht näher an einer Kinderlosen als an einer dreifachen oder vierfachen Mutter. Es ist also durch nichts gerechtfertigt, Kinderlose und Mütter gegeneinander auszuspielen.
Nicht in der Einheitlichkeit, sondern in der Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe liegt die Zukunftschance: Aus feministischer und aus bevölkerungspolitischer Perspektive wäre es lohnend, wenn alle Frauen dazu ermutigt und in die Lage versetzt würden, das zu tun, was sie - nach verantwortlichem Nachdenken - jeweils für das Richtige halten: kein Kind bekommen, eins, zwei, drei oder ganz viele.
Apropos Geburtenrate. Ein interessantes Faktum, das Gaschke zwar bekannt ist, das sie aber aus nahe liegenden Gründen nicht an die große Glocke hängt, ist Folgendes: Die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau ist in Deutschland seit 30 Jahren stabil. Es ist also schlicht nicht wahr, dass "die Frauen" immer weniger Kinder bekommen. Weibliche Freiheit scheint sich in der Realität gar nicht so schlecht mit gesellschaftlicher Verantwortung zu vertragen.