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Uwe Tellkamp: „Der Künstler hier ist nur der Narr“

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Von: Judith von Sternburg

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Uwe Tellkamp. © IMAGO/Eberhard Thonfeld

Der schwer gekränkte Uwe Tellkamp wird in Dresden freundlich ins Gespräch gezogen.

Psychologisch ein interessanter Termin. Wer selbst weiß, was das bedeutet, gekränkt zu sein, erkannte sich eventuell wieder in Uwe Tellkamps zurückgezogener Haltung, die in der Dresdner Frauenkirche am Donnerstagabend allerdings zunächst eine ziemlich verrückte Folge hatte: Tellkamp sprach ausschließlich in Reimen. Hierzu hatte er einiges vorbereitet.

Moderatorin Alexandra Gerlach fragt ihn also beispielsweise, „Herr Tellkamp, was macht das mit ihnen, wenn Sie so geschnitten werden.“ Uwe Tellkamp darauf: „Der Künstler hier ist nur der Narr / von dem, was Meinungsfreiheit war, / meint er die echte, folgenlose, unberaten. / Wer Freiheit will, darf ungeraten braten.“ Wir überspringen ganz kurz und blenden wieder rein: „Der größte Lump im ganzen Land / das ist und bleibt der Denunziant / Heut gerne mit Moral und Haltung / in voller Qualitätsentfaltung. / Und bist du Anti, Trans und Klima / dann grünst du richtig, läuft es prima ... .“ In den etwa 15 Minuten, in denen Tellkamp seinem Prinzip treu blieb, konnte er schon manchen Vers verwenden.

Die Ruhe selbst

Während unsereiner sich vor dem Bildschirm (www.frauenkirche-dresden.de) zu Tode schämte, blieben die Moderatorin und der Schriftstellerkollege Lukas Rietzschel die Ruhe selbst. Gerlach: Ob er die nächste Frage vielleicht doch ohne Reime beantworten könne. Rietzschel: Das sei ja eine erstaunliche Leistung, ob er die Fragen schon gekannt habe. Tellkamp: „Ich blick nicht in die Karten / das war zu erwarten.“

Dann lösten Gerlach und Rietzschel die Situation sehr geschmackvoll auf, denn es gab offenbar akustische Probleme. Er, Tellkamp, sei gewiss besser zu verstehen, wenn er Prosa spreche, und Tellkamp beharrte zwar noch ein wenig, war aber dann bereit. Er wurde, wie soll man das sagen, integriert wie ein beleidigtes Kind, das man jetzt nicht noch mehr kränken will, indem man zum Beispiel sagt: Hältst du das für eine Karnevalsveranstaltung?

Uwe Tellkamp in Prosa wurde weiterhin mit Rücksicht behandelt. Das ganze Gespräch war von dem Wunsch getragen, überhaupt in eine Kommunikation zu finden, und dies erst recht in Tellkamps Heimatstadt, wo der für seine Aussagen zu Medien, Flüchtlingen, Corona mächtig gezauste Schriftsteller viel Applaus bekam. Dabei waren die anderthalb Stunden geprägt von dem Eindruck des allzu Vertrauten, alles aber in höflichem Vortrag.

Rietzschel, Jahrgang 1994 und ebenfalls Sachse – bekannt geworden vor allem mit dem Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ –, entwarf nachdenklich das Bild von Etablierten und Außenseitern (sowie Außenseiterinnen), wobei er dabei nicht an die sogenannten Leitmedien und Uwe Tellkamp dachte (ohne hier polemisch werden zu wollen), sondern an den weißen Mann, der lange relativ konkurrenzlos in allen Belangen dominiert habe, und die anderen. Rietzschel beklagte den scharfen Ton, der sinnvolle Debatten unterlaufe. „Müssen wir Worte verwenden, hinter die wir nicht mehr zurückkommen?“ Er wünsche sich mehr Selbstreflexion, könne aber nicht erkennen, dass auch einmal „jemand wieder einen Schritt zurückgeht“.

Tellkamp wandte sich vehement gegen das Gendern und „die Macht der Medien“. Er sagte unter großem Applaus: „Wenn ich selbst schon auf Linie bin, brauche ich keinen Anruf.“ Damit meinte er etwas wie einen Anruf aus dem Ministerium oder so, mit der Order, das und das zu schreiben. Mit Rietzschels Vorstoß, dass es neben Meinungen aber doch auch ein paar Fakten gebe, konnte er allem Anschein nach nicht viel anfangen.

Dass Tellkamp den „Speaker’s Corner“ als sein Ideal bezeichnete, wirkte beiläufig erschütternd. Denn wer hat je auf die gehört, die sich auf eine Kiste stellten und ihre Ansichten in die Welt hinausposaunten.

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