Ich hab diesen Vergleich gewählt, weil mir die Aussage eigentlich zu einfach ist. Häufig wird damit nur behauptet, Daten könnten enormen Wohlstand erzeugen, so wie eben das Öl. Aber wenn man sich die letzten 100 bis 150 Jahre anschaut, dann sieht man, auch das Öl hatte viele teils negative, Folgen, mit denen wir heute zu kämpfen haben: Umweltverschmutzung, Klimawandel oder die Kriege um Öl. Mich hat interessiert, was wir aus einem Jahrhundert des Öls für ein Jahrhundert der Daten lernen können.
Für das Buch haben Sie Raffinerien und Rechenzentren besucht, sich Pipelines und Glasfaserkabel angesehen. Wo ähneln sich Daten und Öl?
Beim Öl geht es einerseits um den Zugang zu Ölquellen. Aber wichtig ist, die Folgeprozesse im Blick zu haben, den Öltransport, die Ölaufbereitung. Das werden wir auch bei Daten zunehmend sehen: Um mit Daten arbeiten zu können braucht man Hochleistungscomputer und Datennetzwerke. Die Infrastruktur, die dahinter steckt, haben wir bei Daten noch zu wenig im Blick, um zu verstehen, woraus die Macht der Daten überhaupt entsteht. Ich könnte alle Daten dieser Welt besitzen, aber wenn ich sie nicht verarbeiten und transportieren kann, würde es mir nicht viel bringen.
Deutschland hat keine nennenswerten Ölvorkommen und die großen Datensammler, wie Facebook und Google sitzen in den USA – wie abgehängt ist die deutsche Wirtschaft?
An bestimmten Stellen sind wir nicht schlecht aufgestellt. Wir haben mit SAP eine Softwarefirma, die an der Weltspitze mitspielt. Aber es fängt schon bei der Hardware, bei der Infrastrukturfrage an. Außer Siemens haben wie so gut wie keine Akteure auf diesem Feld. Ja, wir sind hinten dran und machen derzeit auch nicht den Anschein, als würden wir aufholen.
Also doch abgehängt?
Die Frage ist, was unsere Rolle sein kann. Deutschland hat beim Öl auch irgendwann die Position eingenommen, die Abhängigkeiten aufzubrechen. Weg von fossilen Brennstoffen und hin zu regenerativen Energien. Vielleicht ist es für uns eine Chance, wenn wir sagen, wir wollen gar nicht die drei großen Daten-Unternehmen haben, sondern wir wollen Alternativen dazu etwa im Bereich Datenschutz und Datensicherheit aufbauen.
Wie könnte das konkret aussehen?
Wie bei den fossilen Brennstoffen. Statt dem Ausbau zentraler Kraftwerke fördern wir dezentrale Windenergie und Photovoltaik. Deutschland hat es so auf mittlerweile 32 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtstromverbrauch gebracht. Im Bereich der Daten muss man ähnlich verteilte und offene Strukturen schaffen. Ein spannender Ansatz ist für mich das Modell Federated Learning: dezentrale Maschinen lernen aus Daten ohne dass die Daten zentral verarbeitet werden.
Wie kompetent ist die Politik derzeit, solche Entwicklungen auf den Weg zu bringen?
Ich bin immer wieder über manche Ausschusssitzungen in Parlamenten erstaunt. Bei den Fragen mancher Parlamentarier an Technikexperten ist es kaum vorstellbar, wie dann wenige Tage später richtungsweisende Entscheidungen getroffen werden sollen. Und dass sind nicht immer nur Hinterbänkler, sondern mitunter auch die fachverantwortlichen Abgeordneten.
Kein Mensch würde Politiker im Finanzbereich akzeptieren, die nicht den Unterschied zwischen Aktie und Optionsschein kennen. Das heißt jetzt nicht, dass ich sage 10 Prozent der Bundestagsabgeordneten müssen IT-Nerds sein. Aber wenn man dort solche Kompetenzen nicht hat, dann muss man sie an anderer Stelle zur unabhängigen Beratung aufbauen. Solche Stellen haben wir aktuell nicht.
In den 70er Jahren, als die erste Ölkrise uns ziemlich kalt erwischt hat, wurde als Reaktion die Internationale Energieagentur gegründet, um Fachwissen und Marktbeobachtung aufzubauen. So etwas haben wir heute für den Bereich der Daten nicht.
Das klingt alles sehr oft sehr pessimistisch.
Ich will eher zeigen, dass es Möglichkeiten gibt. Es sind ja in den letzten Jahren viele Bücher erschienen, die uns gesagt haben, welche negativen Auswirkungen Daten und das Internet haben werden. Aber nur, weil eine Wahrscheinlichkeit dafür da ist, muss es nicht passieren. Mir sind bei der Recherche viele Akteure in den Unternehmen und in der Wissenschaft begegnet, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind. Menschen spüren immer stärker, was ihre tagtägliche Arbeit für potentielle Einflüsse auf die Gesellschaft, aber auch auf ihr eigenes Leben hat. Da steckt Potential drin, die Entwicklung schneller in eine sinnvolle Richtung zu bringen, als das beim Öl der Fall war.
Dieser Beitrag ist entstanden im Rahmen des Buchmessen-Projekts „Unter Dreißig“ mit Kulturjournalismus-Studierenden der Universität der Künste Berlin.