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Ein Tropfen im Strom

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Von: Uli Kreikebaum

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Ilija Trojanow in Málaga, Spanien.
Ilija Trojanow in Málaga, Spanien. © privat

Kulturen bekämpfen sich nicht ? sie fließen zusammen. Die Flaschenpost von Ilija Trojanow.

Die Metapher vom Fluss ist Ilija Trojanow lieb. Im Gespräch mit dem Übersetzer Neboj?a Barac sagte er jüngst, es sei ihm „eine unendlich tröstliche Vorstellung, ein Tropfen im Strom zu sein“. Er habe keinen Zweifel, dass die großen Flüsse der Welt einen Sinn hätten: „Wir strömen dahin, immer wieder kommen Nebenflüsse.“ Mit jedem neuen Tropfen veränderten sich unsere Beiträge. Das Vertrauen in das Verbindende zwischen Menschen und Kulturen bestimmt die Literatur des aktuellen Böll-Preisträgers: Warum die Definition der eigenen kulturellen Identität durch Abgrenzung unsinnig sei, begründet er in der Streitschrift „Kampfabsage. Kulturen bekämpfen sich nicht – sie fließen zusammen“ mit Ranjit Hoskoté. Wie in seinem preisgekrönten Werk „Der Weltensammler“ und „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ beschäftigt sich Trojanow hier mit der Frage nach der transkulturellen Identität.

Trojanow ist ein kosmopolitischer Stimmensammler: Seine Familie stammt aus Bulgarien, floh 1971 nach Deutschland und zog ein Jahr später nach Kenia. Er lebte in Frankreich, Südafrika, Indien, Deutschland, momentan in Wien. In vielen Ländern sammelt er Stimmen und Wissen für ein Werk, dass nicht nur thematisch vielstimnig ist: Trojanow gehört zu den Autoren, die für jedes Sujet einen neuen Sound suchen – im Unterschied zu jenen, die am Sprachklang wiedererkennbar sind. Das Fremde, jene „noch unvertraute Spielform des Eigenen“, die er in seiner im Hafen von Málaga verschickten Flaschenpost beschreibt, versucht Trojanow durch Empathie zu erfahren und immer neuen Sounds zu erfassen. Dabei prägen seine Bücher Geschichtsbewusstsein und politische Haltung. „In Erinnerung an Al-Andalus“ heißt es in der Flaschenpost, die er im Hafen von Málaga aufgab: Al-Andalus war der Name eines Teils der iberischen Halbinsel, die zwischen 711 und 1492 ein muslimisch beherrschtes Kalifat war, in dem religiöse und und soziokulturelle Gruppen Toleranz lebten und leben konnten.

Wenn er an Zukunft denkt, schreibt Trojanow zu seiner Flaschenpost, gebe es für ihn nur ein Thema: „Wir müssen das jetzige System der Ausbeutung von Menschen und Natur überwinden, wenn wir als Menschheit eine Zukunft haben wollen.“ Angst mache ihm „der Mangel an Freiheitsliebe, an Solidarität, an Skepsis, an Individualität“. Die Fußgängerzone, in jeder deutschen Stadt gleich, „führt inzwischen durch die Köpfe zum Herzen und wieder zurück“. Hoffnung mache ihm andererseits „jede Form von Verweigerung und Widerstand“.

Das gelte auch für bloß so genannte soziale Medien wie Facebook: „Facebook ist ein Konzern mit totalitären Ambitionen“, sagt Trojanow. „Zwei Milliarden User, deren Daten beliebig benutzt und missbraucht werden; eine Plattform für jegliche Form der Manipulation und Hass. Das ist die Folge, wenn einzig das Verkehrsaufkommen relevant ist, und nicht, wer mit was wohin fährt!“ Mit Juli Zeh hat Trojanow die Kampfschrift „Angriff auf die Freiheit“ gegen den Überwachungsstaat geschrieben. Zwei Dinge, sagt Ilija Trojanow, veränderten die Welt: „Der technische Fortschritt und Ideen.“ Dem vermeintlichen digitalen Fortschritt begegnet er mit literarischem Widerstand.

Die Serie Flaschenpost erscheint regelmäßig in den Feuilletons von „Kölner Stadt-Anzeiger“, „Berliner Zeitung“ und Frankfurter Rundschau“. Autoren aus aller Welt schreiben dafür Zukunfts-botschaften und verschicken sie per Flaschenpost.

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