Der Tod trägt bunt

Der Berliner Zeichner Reinhard Kleist huldigt dem Musiker Nick Cave mit einer Biografie und einem fantastischen Artbook.
Und dann gibt er doch noch etwas Farbe dazu. Und was für Farbe: Erst in seinem Artbook zu seiner wuchtigen, über 300 Seiten schweren, schwarz-weiß gehaltenen Bildermonografie „Nick Cave: Mercy On Me“ lässt der Berliner Zeichner Reinhard Kleist ab von der kontrastscharfen Strenge, von all dem tintentriefenden Ernst, mit dem er seinen Helden, den australischen Universalkünstler Nick Cave, bis dahin umgeben hat. Das Artbook heißt „Nick Cave & The Bad Seeds“ und ist Kleists Zugabe, eine große Erleichterung, eine Lockerungsübung, sie hat das Format einer Plattenhülle – Langspielplatte, versteht sich – und zählt nicht einmal 100 Seiten. Sie schwelgt und schimmert in schönster Buntheit.
Wobei hier das Schöne und Bunte keinen quietschvergnügten Oberflächenreiz erzeugt. Wir sehen Nick Cave als Musiker mit dem Mikrofon in der Hand, am Klavier sitzend, und die Farben changieren, gelb, orange, braun der Hintergrund, blauschwarz der Anzug. Oder Nick Cave als Teufel, als Priester in feurigem Rot.
Tristblaues Leben im rosa-roten Berlin
Überhaupt macht sich das Rot als Blut besonders gut, wie in der Saloon-Szene, einer der vielen Geschichten Caves, in denen sich Fantasie und Realität zu einer mirakulösen Biografie verbinden – wie in der braun-gelb eingefärbten Saloon-Szene also, in der er „Godlike for a Moment“ einen Mann niedergeschossen hat. Oder Nick Caves tristblaues Leben in einem rosa bis roten Berlin …
Das sind großartige Bilder. Sie spielen mit ganz anderen Kontrasten als nur Schwarz und Weiß, sie erzeugen zum Beispiel eine lebendige Gegenwart und verweisen doch auf Bildtraditionen, etwa die Popart, und sie spielen mit Temperaturen, dem Warmen und dem Kalten, einem Gegensatz, der ja auch für Nähe und Ferne steht. Und dann leuchtet der Gegensatz im Gegensatz auf, wenn das Nächste, das lebendige Gegenüber als das Kälteste, nämlich in leichenmattem Blau erscheint, das Fernste aber einem warmen Orange lockt! Reinhard Kleists Farbtableaus sind eine Verführung, sie eröffnen Stimmungs- und Empfindungswelten, in die sich der Leser nur zu gern hineinverliert.
Selbst der Tod trägt hier bunt. Kleist färbt ihn mintgrün, etwa bei den Bildern mit PJ Harvey, der britischen Alternative-Sängerin, mit der Cave eine Amour fou hatte und die ihm das Herz aus der Brust riss, ein suizidales Liebespaar, so wie es beide in dem Duett „Henry Lee“ schön grausig beschworen. In dem gleichen Grün lässt Kleist auch das Wasser in „Where the Wild Roses Grow“ schimmern – eine schöne Erinnerungsfantasie des Zeichners, denn in dem Video zu diesem Song spielte Kylie Minogue eine barmende Wasserleiche. Mit Australiens bekanntester Sängerin soll Cave, der bekannteste Sänger Australiens, auch eine Liaison gehabt haben … Wieder so eine Geschichte: Fiktion oder Realität? Egal!
Die Beispiele zeigen: Es braucht nicht das schroffe Schwarz-Weiß für beziehungs- und bedeutungsreiche Bilder. Und auch zur Heldenverehrung kann die Buntheit maßgeblich beitragen. Kleist hat Nick Cave mehrfach besucht, er hat ihm auch seine ersten Entwürfe vorgestellt. Und er hat vom Meister seinen Segen bekommen, wie er in dem Artbook nicht ganz ohne Ehrfurcht erzählt.
Das geschah vollkommen zu Recht, denn auch mit dem wuchtigen „Nick Cave: Mercy On Me“ legt der Zeichner ein bildmächtiges und erzählstarkes Werk vor, souverän und imposant in seiner Formenstrenge, und doch, wenn wir etwas zu wünschen gehabt hätten: In Farbe wäre es ein supersurrealer, Cave-artiger Bilderrausch geworden.
Reinhard Kleist hat zur Genüge gezeigt, dass er das Biografie-Genre beherrscht. Erinnert sei nur an seine großartigen Arbeiten zu Elvis Presley (2006), Johnny Cash (2007), Fidel Castro (2010) oder den jüdischen Boxer Hertzko Haft (2011). Für sein umfangreiches Werk wurde der 47-jährige Künstler vielfach ausgezeichnet. Kurzum, er gehört zu den besten Comiczeichnern Deutschlands.
In „Nick Cave: Mercy On Me“ dekliniert Kleist nun über fünf Kapitel das Leben des australischen Kultmusikers und Schriftstellers und Allesanregers durch. Und genauso wie Cave mischt auch Kleist dabei Wahrheit und Erfindung zu einem mythischen, explosiven, virulenten Panorama. Das ist schön, das ist gut.
Und den Comic-affinen Leser mag sogar auffallen, dass sich Kleist immer mehr der düsteren Ästhetik des großen Graphic-Novel-Erfinders Will Eisner annähert. Ja, und so erscheint Nick Cave dann in der großen Düsternis – als charismatischer Existenzialist und Maximalist – wie schon einige von Kleists Protagonisten zuvor, Elvis, Cash …
Deshalb noch einmal unsere inständige, unverschämte Bitte: Lieber Reinhard Kleist, das nächste Mal dort weitermachen, wo das Artbook aufhörte. Wieder mehr Farbe, bitte!