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Toril Brekke „Ein rostiger Klang von Freiheit“ – Wie Agathe es sieht und sah

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Von: Katharina Granzin

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Der Wind der neuen Zeit ist nicht mehr aufzuhalten: Hippie-Hochzeit in Oslo, 1967.
Der Wind der neuen Zeit ist nicht mehr aufzuhalten: Hippie-Hochzeit in Oslo, 1967. © AFP

„Ein rostiger Klang von Freiheit“: Träumerisch leicht und in einem ungewöhnlichen, ambivalenten Erzählton führt die Norwegerin Toril Brekke ins Oslo der sechziger Jahre.

Nach Oslo ins Jahr 1967 führt dieser trügerisch schön zu lesende Familien- und Coming-of-Age-Roman, der ein atmosphärisch eindrückliches Gesellschaftsporträt mittransportiert. Obwohl das eine Menge Gepäck ist, kommt Toril Brekkes „Ein rostiger Klang von Freiheit“ ganz leicht gesponnen, geradezu träumerisch leicht, daher.

Das ist nicht zuletzt das Verdienst der Übersetzung von Gabriele Haefs, und zu einem guten Teil liegt es an der Hauptfigur und ihrer Erzählstimme, die gar nicht so leicht einzuordnen ist: Agathe, 18 Jahre alt, wohnt in Oslo, zusammen mit ihrem kleinen Bruder und ihrem Stiefvater. Eine Mutter gibt es im Prinzip auch, doch hat die nichts mehr von sich hören lassen, seit sie Jahre zuvor mit einem anderen Mann nach Kopenhagen gegangen ist. Agathe muss daher Mutterersatz für den 13-jährigen Morten sein, was sie allerdings häufig vergisst. In mancher Hinsicht deutlich reifer als Gleichaltrige, ist sie doch gleichzeitig geprägt vom gedankenlosen Egoismus eines ganz normalen Teenagers.

Die Ich-Erzählstimme allerdings kann eigentlich nicht identisch sein mit dem Teenager Agathe, weiß sie doch diesen Egoismus hin und wieder sehr gezielt zu benennen, ebenso wie sie über Gefühle der jugendlichen Agathe zwar berichtet, aber nie darin verweilt. Diese Erzählerin hat einen spürbaren, gesunden Abstand zu ihrem früheren Ich – und doch gibt sie der jugendlichen Beeindruckbarkeit und Spontaneität der „erzählten“ Agathe unmittelbar Ausdruck.

Diese perspektivische Doppelbödigkeit des Erzähltons trägt viel zum atmosphärisch schwebenden Charakter des Romans bei. Die norwegische Schriftstellerin Brekke, 1949 in Oslo geboren, bietet aber dem scheinbar unbekümmerten Tonfall zum Trotz, einen Stoff von einer ebenfalls tiefsitzenden Ambivalenz. Ein emotionales Trauma grundiert das Leben von Agathe und Morten, seit die Mutter nichts mehr von sich hören lässt und ihre Kinder nicht einmal sehen will, als sie in Kopenhagen nach ihr suchen. Wie tief ihr kleiner Bruder von diesem Erlebnis verstört wird, nimmt Agathe aber nicht recht wahr, ist sie doch zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt.

Das Buch

Toril Brekke: Ein rostiger Klang von Freiheit. Roman. A. d. Norweg. v. Gabriele Haefs. Stroux Edition, München 2022. 332 Seiten, 24 Euro.

Sie hat beschlossen, für das letzte Jahr vor dem Abitur auf eine neugegründete Reformschule zu wechseln, in der nach dem Summerhill-Modell unterrichtet wird. Agathe findet eine neue Clique, in der sie aufgeht, beginnt ein eigenständiges Leben fern von der Familie. Ihr ehemaliger Liebhaber, Schlagzeuger in derselben Band, in der sie selbst Saxophon gespielt hat, leiht ihr seine Wohnung, während er in den USA ist.

Der Wind jener neuen Freiheiten der späten sechziger Jahre, die auf einmal ausgelebt werden können, weht frisch und ist nicht aufzuhalten in diesem Buch. Allerdings traut Agathe sich lange Zeit nicht, ihrem autoritären Großvater, Oberhaupt des kleinen Familienclans, von ihrem Schulwechsel zu erzählen. Als die Wahrheit durch Zufall ans Licht kommt, bleibt der Eklat folgenlos: Die alten Mächte haben bereits maßgeblich an Einfluss verloren.

Doch solche Einsichten sind nur zwischen den Zeilen zu lesen. Eben dort werden auch die Kehrseiten der Freiheit sichtbar, vor allem im Geschlechterverhältnis. Agathe, frühreif genug und sexuell im Prinzip selbstbestimmt, hat zwar kein Problem mit der Aufmerksamkeit, die ihr durch Männer – häufig sind es deutlich ältere Männer, mitunter sogar ihre Lehrer – zuteil wird, scheint aber nicht in der Lage zu sein, für sich selbst deutliche Grenzen zu ziehen. Nachdem ein Freund Aktfotos von ihr gemacht hat, verkauft er die Bilder, ohne sie zu fragen. Agathe fühlt sich zwar beschämt und ausgenutzt, sagt aber nichts und nimmt das Geld, das er ihr nachträglich anbietet.

Die Verhältnisse von Macht und Begierde sind, das scheint durch die oberflächlich so entspannte Textur von Agathes Erzählung immer wieder durch, zwischen den Geschlechtern und den Generationen keineswegs gleich verteilt. Das Leben von Agathes Mutter belegt zwar augenscheinlich das Gegenteil. Aber gerade in diesem Fall erzählt die Oberfläche keinesfalls die ganze Geschichte.

Und so funktioniert dieser Roman im Grunde fast so wie das Leben selbst, in dem ja meist auch nichts Besonderes passiert und alles sich irgendwie zu ergeben scheint, während im Untergrund dunkle, divergierende Kräfte am Werk sind, von denen der Mensch, während er so vor sich hin lebt, keine Ahnung hat. In einem Roman aber müssen sie, anders als im wirklichen Leben, auf jeden Fall irgendwann zur Explosion führen...

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