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Terézia Moras Darius Kopp kann nicht anders, als glücklich zu sein

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Terézia Mora als Büchnerpreisträgerin 2018, Darmstadt.
Terézia Mora als Büchnerpreisträgerin 2018, Darmstadt. © picture alliance/dpa

„Auf dem Seil“: Terézia Mora gönnt ihrem Helden Darius Kopp zum Abschluss ihrer und seiner Trilogie einen milden Abgang.

Kommen wir also noch einmal auf Darius Kopp zurück. Zum letzten Mal, vielleicht. Vor zehn Jahren trat der tropfartige, äußerlich runde, innerlich nicht dumme, aber von der im Leben erforderlichen Reaktionsgeschwindigkeit gelegentlich überforderte IT-Spezialist als Held von Terézia Moras sehr erfolgreichem Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ in die Welt. Er erzählte aus Sicht seiner ungebrochen optimistischen Natur von der Finanzkrise. Auch ihn brachte sie in Fährnisse, aber mit dem Dusel eines im Prinzip arglosen Menschen kruschelte er weiter.

Vor sechs Jahren – inzwischen war schon klar, dass es auf eine Trilogie hinauslaufen sollte – war Darius Kopp wieder da. Mit dem ungeheuerlichen Roman „Das Ungeheuer“ gewann Mora unangefochten den Deutschen Buchpreis, während Darius Kopp die Urne mit der Asche seiner Frau Flora in die alte Heimat brachte. Flora, wie Mora in Ungarn geboren, hatte sich das Leben genommen. Dass sie unter schweren Depressionen litt, erfuhren Darius Kopp und das Publikum gleichzeitig, indem sie ihr Tagebuch lasen. Während sich das Publikum auf seine Ahnungslosigkeit berufen konnte, fiel auf den sanften Darius Kopp das böse Licht zwischenmenschlicher Unzulänglichkeit. Wie konnte ihm das so vollständig entgehen? Er war natürlich sehr traurig, aber mehr verwirrt als verzweifelt.

Am  Montag erscheint der dritte Band, „Auf dem Seil“, jetzt als Roman einer Büchnerpreisträgerin, und er beginnt mit dem klassischen Darius-Kopp-Satz: „Ich kann nicht anders, als glücklich zu sein.“ Das liegt nicht daran, dass ihm etwas Gutes passiert wäre. Er kann wirklich nicht anders. Das gibt diesem Satz seine Schönheit, und obwohl „Auf dem Seil“ viel weniger komisch ist als „Der einzige Mann“ und viel weniger abgründig als „Das Ungeheuer“ und obwohl „Auf dem Seil“ manchmal sogar harmlos wirkt, jedenfalls antiraffiniert – auch literarisch ein bisschen vor sich hinerzählt –, bildet er einen schönen, Darius Kopp würdigen Abschluss der Trilogie.

Darius Kopp, jetzt fast 50, lebt gegenwärtig in Sizilien. Er arbeitet als Pizzabäcker, isst auch oft Pizza und schläft gerne auf dem Dach des Hauses, das ihm nicht gehört. Ihm gehört nicht mehr viel. Er radebrecht auf Italienisch, mit dem jungen Afrikaner Metin kann er Englisch sprechen, die beiden sind fast befreundet. Er kann nicht anders, als glücklich zu sein, und planlos glücklich zu sein, liegt ihm ganz besonders.

Terézia Mora: Auf dem Seil. Roman. Luchterhand, München 2019. 360 Seiten, 24 Seiten.
Terézia Mora: Auf dem Seil. Roman. Luchterhand, München 2019. 360 Seiten, 24 Seiten. © Verlag

Natürlich passiert jetzt aber was. Seine 17-jährige Nichte taucht auf, die nicht nur unter der Geschmacksverirrung ihrer Eltern leidet, die sie Lorelei genannt haben, sondern auch magersüchtig und schwanger ist. Darius Kopps Sensorium kündigt ihm zwar oft an, wenn es schwierig wird, aber das setzt ihn noch lange nicht in Gang. Seine Erkenntnis „Sie ist magersüchtig“ ist im Buch durchgestrichen, jetzt steht da: „Sie hat keinen Hunger.“ Das macht es einfacher, auch weil er „wie immer“ nicht als erster fragt. So dauert es eine Weile, bis er den Ernst der Lage begreift. Die Gleichmut von Loreleis Mutter, Darius Kopps rigider Schwester – strenge Frauen säumen seinen Weg, das kann man sagen, nur Flora war ganz anders und Lorelei ist zu jung für eine Prognose –, verlangt ihm jedoch ein Minimum an Aktivität ab.

Er reist mit Lorelei – einer eigenwilligen, beim Lesen aber uninteressant bleibenden jungen Frau – nach Berlin zurück. Dort beginnt eine typische Kopp-Odyssee. Er müsste dringend Geld beschaffen, aber er sortiert stundenlang seine uralten Mails. Die Handlung wird quirlig, ohne vom Fleck zu kommen. Das kann grotesk sein, wenn ihm etwa das Geld wieder einfällt, dass er in „Der einzige Mann“ noch mehr oder weniger versehentlich beiseite geschafft hat. „Das Geld. Vollkommen vergessen. Wie ist das möglich? Alles ist möglich, wenn man nur will. Ich wollte niemand sein und dazu gehörte, nichts zu besitzen, aber nun bin ich wieder da.“ Kopp ist, wie man sieht, total unkonzentriert. Halbe Entschlüsse stocken bald, obwohl Kopp durchaus grübelt: „Rechnen wir mit 10 Euro am Tag für Lebens- und Antibrechmittel, haben wir noch 50 Tage, an denen wir ohne Job, Darlehen oder Schließfach überleben können. Das müsste doch zu machen sein. 50 Tage. Die Zahl berauschte ihn geradezu. Dabei steckte doch nichts dahinter. Kein Versprechen, schon gar keine Garantie.“ In der Tat.

Darius Kopp sieht sich auch nach einem Job um. Die Chancen sind so lala. Eigentlich will er auch nicht. Und eigentlich wirkt alles, was er versucht, etwas grundsätzlicher zu sagen oder zu denken, mäßig glaubwürdig. „Am Ende gewinne ich sie noch lieb. Was wird aus mir, wenn ich sie liebgewinne?“ Nein, das glaubt keiner mehr, dass Darius Kopp noch einmal etwas gewinnen will, und viel besser steht ihm der gute alte Humor. Zwei junge Leute beobachtet er, einer hat ein durchgestrichenes Hakenkreuz auf dem Rucksack. „Leider war die Durchstreichung nicht dick genug, als Erstes fiel das Hakenkreuz ins Auge. Anderen gelingt auch nicht alles. Dachte Darius Kopp, und sein Groll, den er gegen die jungen Männer gehegt hatte, weil sie so schnell und ungeduldig waren, ebbte wieder ab.“

Darius Kopp trifft alte Bekannte wieder, auch Metin taucht in Berlin auf. Das Personal, viele so genannte Originale darunter, ist wie aus der Filmkomödie, zu der „Auf dem Seil“ hoffentlich nicht werden wird. Terézia Mora ist ihrem Helden zu sehr gewogen, um dem Roman nicht ein mildes Happyend zu schenken und Darius Kopp nicht einen Abgang, der ihm und ihr eine Hintertür offen lässt.

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