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Stella Leder: „Meine Mutter, der Mann im Garten und die Rechten“ – Nebenan die Nazis

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Von: Judith von Sternburg

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Irgendein Dorf in Hessen: Ein paar Nazis seien kein Problem, sagt der Großvater. „Das Problem beginnt dann, wenn sie in den Zeitungen schreiben und in die Parlamente gelangen.“
Ein Dorf, irgendwo in Hessen: Ein paar Nazis seien kein Problem, sagt der Großvater. „Das Problem beginnt dann, wenn sie in den Zeitungen schreiben und in die Parlamente gelangen.“ © Imago

Stella Leder über ihre Familie und die Rechten.

Die Lektüre dieses Buches lohnt sich vor allem, wenn man zwar Böses ahnt, es sich aber in diesem Ausmaß doch nicht recht vorstellen kann. Gewalttätige Nazis in hessischen Dörfern in den 90ern, Lehrkräfte in Frankfurt, die antisemitische Parolen und Witze durchwinken. Stella Leder, 1982 in Westberlin geboren, kann es sich hingegen nicht nur vorstellen, sie kennt es aus eigener Anschauung. „Wenn rechtsextreme Gewalt ins Leben einbricht, wird eine grundlegende Vorstellung über zwischenmenschliches Zusammenleben zerstört: die Vorstellung, dass uns nicht einfach so, nicht grundlos zugesetzt wird.“

Dass in ihrer Biografie mehrere Fäden deutscher Geschichte sich treffen, ist spannend, zumal Leder einen klugen Ton findet, unaufgeregt, glasklar.

In Haftung genommen

Das Buch

Stella Leder: Meine Mutter, der Mann im Garten und die Rechten. Eine deutsch- jüdische Familiengeschichte. Ullstein. 205 S., 22 Euro.

„Meine Mutter, der Mann im Garten und die Rechten“: Stella Leders Mutter ist eine der Töchter des jüdischen Schriftstellers Stephan Hermlin, der sich 1936 ins Exil retten musste, dann in die DDR ging und kurz vor seinem Tod 1997 dem Vorwurf autobiografischer Verfälschung ausgesetzt war. Während Stella Leder mit erstaunlich (schrecklich) moralischen Urteilen über ihren Großvater konfrontiert wird, wird sie zugleich bedenkenlos für israelische Politik in Haftung genommen. Indem Stella Leder mehr erzählt als kommentiert, macht sie das, wofür sich anscheinend die wenigsten Zeit nehmen: Vorgänge und Sätze einmal für sich wirken zu lassen. Vieles klärt sich dann von ganz alleine (stellt sich in seinem Irrsinn selbst bloß).

„Der Mann im Garten“ könnte ein langer Arm der Stasi sein, für die Stephan Hermlins dritte Frau, Stella Leders Großmutter, tätig war. „Die Rechten“ sind die Nazis, die, so Leder, nicht wiederaufgetaucht sind, sondern nie fort waren.

Stella Leder ist für NGOs tätig, befasst sich mit Antisemitismus und Rechtsextremismus, reichert ihr Buch mit Zahlen und Fakten an. Aber eindrucksvoll ist vor allem ihr reflektierter, aufmerksamer Bericht mitten aus einem Land, in dem wir doch auch die ganze Zeit über gelebt haben und das einem fremder wird. Aber nicht so fremd, wie es schon wieder angenehm wäre (denn dann hätte man nichts damit zu tun).

Die Szene mit der Mathematiklehrerin zum Beispiel, die eine Romni nach Hause schickt, weil sie Rosa und Rot trägt. Das beiße sich und tue ihr (der Lehrerin) in den Augen weh. Das ist, als wäre man dabei gewesen. Und wenn es in der eigenen Klasse nicht zu einem solchen Rauswurf kam, so wäre die Atmosphäre doch immer noch entsprechend gewesen. Die reizbare Lehrerin, die Schamlosigkeit, die Nerven auf Kosten des hilflosesten Kindes der Klasse zu beruhigen.

Der Großvater sagt 1996, ein paar Nazis (im hessischen Dorf) seien kein Problem. „Das Problem beginnt dann, wenn sie in den Zeitungen schreiben und in die Parlamente gelangen.“

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