„Sein eigenes Denken zu ändern sieht von außen nicht unbedingt nach Revolution aus“

Feminismus – ein Begriff, bei dem immer noch viele Menschen die Augen verdrehen. Dabei spielt der Begriff doch gar keine Rolle, meint die Journalistin und Autorin Margarete Stokowski. Jetzt hat sie ein wichtiges Buch geschrieben.
Von Sally-Charell Delin
Die Zuschauer klatschen, verteilen sich in alle Richtungen, strömen zum nächsten Autorengespräch, zur nächsten Lesung. Ein paar Frauen im Publikum bleiben erst sitzen, gehen schließlich auf die Schriftstellerin auf dem Podium zu. Eine ältere Dame, mit grauem, adrett hochgestecktem Haar, nickt ihr zu: „Ich wollte Ihnen nur kurz sagen, wie wunderbar das ist, was sie machen. Schön, dass es sie gibt!“ Margarete Stokowski lächelt.
„Untenrum frei“ heißt das Buch von Margarete Stokowski, das vor gut einem Monat im Rowohlt Verlag erschienen ist. Seitdem wird viel diskutiert. Es geht um Feminismus, um die kleinen Erfahrungen und Kämpfe, die jede Frau auch heute noch führen muss.
Das Zeitalter fieser Leserkommentare
Auch ich möchte über das Buch reden, deshalb treffe ich ein paar Stunden nach dem Autorengespräch Margarete Stokowski am Messestand der taz. „Das ist so schön, so etwas zu hören“, sagt sie über die Begegnung mit der älteren Dame. „Da werde ich immer ganz emotional.“ Man hört die Rührung in ihrer Stimme. Bitter nötig im Zeitalter von fiesen Leserkommentaren und Hassmails.
Von der Buch-Idee bis hin zur Veröffentlichung verging einige Zeit: Von 2011 bis 2015 schrieb Margarete Stokowski die feministische Kolumne „Luft und Liebe“ für die taz, seit einem Jahr erscheint ihre Kolumne „Oben und unten“ bei SPIEGEL ONLINE.
Schon 2011 kam ihr die Idee für das Buch. „Ich wusste ganz früh den Titel, aber noch nicht genau, was meine Botschaft ist“, erzählt sie heute. Also nahm sie sich Zeit, schrieb zuerst ihre Masterarbeit über die feministische Vordenkerin Simone de Beauvoir und ihren Begriff der Frau. Währenddessen entwickelte sie die Thesen ihres Buches. Es war ein langer Reifeprozess. Das merkt man heute, fünf Jahre später, sowohl bei der Lektüre ihres Buches als auch auf der Bühne und im Gespräch.
Das Buch – ihre eigene Form der Revolution?
Im Buch rekonstruiert sie chronologisch ihr eigenes Leben. Sie erinnert sich an frühe Empfindungen, als Mädchen besonders „schön“ sein zu müssen, über miserable Aufklärung an der katholischen Schule und Tipps aus Frauenzeitschriften, um den Mann, und nur den Mann, glücklich zu machen. In ihrem Buch spricht sie in vielen verschiedenen Tönen, vor allem reflektiert, mit viel Authentizität und eine ehrlicher Stimme, in passenden Momenten gespickt mit Humor. Dabei ist das Buch keineswegs eine Spaßgeschichte. Margarete Stokowski erzählt auch von Gewalterfahrungen, die sie selbst als junge Frau erleben musste. „Ich schreibe seit vier Jahren über sexualisierte Gewalt und der Schritt, meine Geschichten zu erzählen, war dann nicht mehr so groß“, sagt sie. Geholfen, die Erfahrungen zu bewältigen, habe das Aufschreiben aber nicht. Der Austausch mit Freundinnen half und stärkte die Erkenntnis, nicht Schuld zu sein. Ihr persönlich liegt viel daran, Frauen das Nein-Sagen zu schenken. Ihr Buch – eine eigene Form von Revolution?
„Leute denken bei Revolution schnell an Bilder von Straßenkampf, Demos und Umstürzen, aber in echt ist das krasseste, was man ändern kann, sein eigenes Denken. Und das ist gleichzeitig das Schwierigste. Das sieht von außen nicht unbedingt wild aus.“ Trotzdem möchte sie niemandem vorschreiben, wie man sich jetzt zu verhalten hat. Schließlich sei jeder Mensch, jeder Mann und jede Frau verschieden, den universellen Ratschlag gebe es nicht.
Es geht darum, über Dinge zu reden
Mit Begriffen wie Feminismus möchte Margarete Stokowski sich nicht lange aufhalten: „Es geht nicht darum, wer welchen Stempel hat, es geht darum, darüber zu reden!“, sagt sie. Die Forderungen der Frauenbewegung haben sich verändert. Es gehe nicht mehr um Dinge, die Frauen verwehrt bleiben. Es geht mittlerweile um die unscheinbareren Dinge. Die, die man nicht sofort erkennt. Es geht darum, dass Mädchen oft als süß und Jungen als stark bezeichnet werden. Dass Frauen und Männern immer noch bestimmte Eigenschaften zugeordnet werden. Und dass Frauen oft noch in eine gesellschaftliche Rolle gepresst werden.
Definition hin oder her – eines Tages wird die Revolution des Feminismus' abgeschlossen sein. Da ist Margarete Stokowski sich ganz sicher.