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W. G. Sebald: Zeit für eine Chimäre

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Von: Sylvia Staude

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Sonnenuhr an der Kirche der Pfarrgemeinde St. Ulrich in Wertach, Bayern.
Sonnenuhr an der Kirche der Pfarrgemeinde St. Ulrich in Wertach, Bayern. © Rainer Oettel/epd

„Il Ritorno in Patria“: Ein Hörspiel zu einer Erzählung W. G. Sebalds aus „Schwindel. Gefühle“.

Im Dezember ist es zwanzig Jahre her, dass der in England lebende und arbeitende Schriftsteller W. G. Sebald tödlich verunglückte. Doch eher locker an dieses Datum angebunden ist eine 50-minütige Hörspiel-Produktion des Schweizerischen SRF in Coproduktion mit dem ORF, die beim SRF bereits als Podcast abgerufen werden kann (die auf srf.ch auch leicht gefunden werden kann) und vom ORF zum Todestag gesendet werden wird. „Il Ritorno in Patria“ beruht auf der letzten, gleichnamigen Erzählung im 1990 erschienenen Band „Schwindel. Gefühle“.

Aber wo dort nur von der Rückkehr des Erzählers nach „W.“ die Rede ist, benennen die Hörspiel-Autoren Johannes Mayr und Ralf Bücheler dieses Wertach im Allgäu, wo Sebald aufgewachsen ist, lassen auch von einigen der Figuren – Crescentia Dünsser darunter als Anna Ambroser, Gabi Striegl als Rezeptionistin – kräftig Dialekt sprechen. Und erstaunen, indem sie Sebald selbst als einen philosophierenden, kommentierenden „Wanderer“ einführen, auf den der Erzähler, August Zirner, zufällig trifft – oder den er gar imaginiert? – und der, ungefragt, so allerlei Nachdenkenswertes, auch Unwirsches beisteuert.

Sebald war offenbar häufiger in Radiosendungen zu Gast, Mayr und Bücheler haben sich das zunutze gemacht. Es verblüfft, wie viele der Sätze wie just gesprochen sein könnten. Sei es, dass vom „Ausmaß der Verschandelung“, den Verheerungen der Umwelt die Rede ist. Sei es, dass ein pessimistisches Fazit des „Wanderers“ lautet: „Mehr kann man nicht mehr machen als zuschauen.“

Autobiographisch ist nicht nur diese Geschichte W. G. Sebalds, aber in ihr dominieren die Kindheitserinnerungen des Erzählers, der nach Jahrzehnten zurückkehrt nach Wertach, der alles „grundlegend verändert“ vorfindet, sich aber ein Zimmer nehmen kann beim Engelwirt, wo der Junge einst im ersten Stock mit seiner Mutter wohnte. Über der rauchverhangenen Gaststube, wo die Bauern bis tief in die Nacht hinein hockten, tranken, die Kellnerin Romana belästigten.

„Während der ersten Tage meines Aufenthalts in Wertach habe ich den Engelwirt nicht verlassen.“ Das muss der Erzähler auch nicht, ist doch seine Erinnerung ein weites, mit Lebenden wie Toten bevölkertes Feld in „Il Ritorno in Patria“. Und „der Wandervogel“/Sebald ergänzt, als habe er eine Ahnung von seinem frühen Tod: Die Zeit nach hinten ist lang, „die nach vorne ist sehr kurz“.

Dieses Hörspiel macht, dass W. G. Sebald sich mit seinen wenigen Sätzen doch gleichsam an Debatten beteiligt, sich zur Umweltzerstörung äußert wie auch zum Heimweh. Aber sicher leide er an Heimweh, sagt er da, aber man „sehnt sich nach einer Chimäre“. „Il Ritorno in Patria“ macht sie für eine Weile sichtbar.

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