Schwein gehabt

Hans Traxler hat einem rührenden Schweinchen namens Emil in seinem neuen Bilderbuch die Charakterrolle zugedacht.
Von MARTIN SCHOLZ
Manche Schweine sind besser als ihr Ruf. Im Reich der Kinder-Unterhaltung jedenfalls werden sie immer wieder zu Sympathieträgern erhöht, die uns - ganz anders als im richtigen Leben - mit den unterschiedlichsten Charaktereigenschaften betören. Unvergessen die Muppet Show mit der lasziven Miss Piggy und den Schweinen im Weltall, die uns mit außerirdischen Kalauern zum Lachen brachten. Walt Disney dagegen ließ stets sein Schweinchen Schlau über den bösen Wolf triumphieren. Ein Schweinchen namens Babe gab in dem gleichnamigen Film sogar einen respektablen Helden: Das von einem Collie adoptierte Ferkel übernahm den Job eines Schäferhundes und hütete bald eine Schafherde. Und dann war da noch der dicke Waldemar in Helme Heines "Freunde"-Büchern: Auch wenn der sich artgerecht im Schlamm wälzte, war er deshalb noch lange keine Drecksau - denn unter der schmutzigen Haut steckte ein mutiger, herzensguter Kerl, der immer für seine Freunde da war.
Hans Traxler zeigt das Schwein in seinem neuen Bilderbuch nun abermals von einer ungewohnten Seite - als wahren Freund des Menschen. Eine Rolle, die im Kinderbuch traditionell eher mit treuen Hunden und verschmusten Katzen besetzt wird. Traxler erzählt uns die bewegende Geschichte eines Schweinchens namens Emil. Emil ist im Grunde der Einzige, der Martha auf ihrer Almhütte Gesellschaft leistet. Die alte Frau ist so arm, dass sie nur mit Mühe die harten Winter in den Bergen übersteht. An manchen Abenden liest sie vor dem Einschlafen sogar Kochrezepte, um den knurrenden Magen zu besänftigen.
Irgendwann hilft auch das nicht mehr: Sie beschließt, Emil auf dem Schlachthof im Tal zu verkaufen. Der spürt sofort, dass etwas nicht stimmt, geht aber trotzdem mit. Doch als Martha vor dem Schlachthof mit ansehen muss, wie ein dicker Metzger mit Messer einem armen Schwein nachjagt, geht sie mit Emil zurück auf ihre Hütte.
Solche Szenen entfaltet Traxler mit dem ihm eigenen Minimalismus: in einem schlichten Erzählton, der in den Zeichnungen mit ihren dezenten Farben und den wenigen Strichen seine kongeniale Ergänzung findet.
Die spärlichen Details, die er in die Umrisse mit den klaren Linien einschleust, sind bewusst gesetzt und haben - wie beispielsweise die kleinen roten Farbtupfer auf den Schürzen der Schlachter - eine entsprechend starke Wirkung. Aber Traxler wäre nicht Traxler, wenn die Geschichte von Emil, der noch mal Schwein gehabt hat, an dieser Stelle schon zu Ende wäre. Denn den Dorfbewohnern ist die seltsame Alte, die ihr Schwein im Tal spazieren führt, nicht ganz geheuer. Was, fragen sie sich, wenn die Martha irgendwann in ein Pflegeheim käme und das Dorf am Ende noch die Kosten übernehmen müsste? Nein, das wäre gar nicht gut. Da raufen sie sich dann doch lieber zusammen und versorgen die Alte mit Unmengen von Lebensmitteln.
Solche Abgründe im menschlichen Miteinander haben den in Frankfurt lebenden Autor schon immer interessiert. An solchen Stellen klinkt sich der bissige Cartoonist Traxler in die Welt des Kinderbuchautors Traxler ein. Das hat der fast 75-Jährige in der Vergangenheit oft gemacht. Und wie in seinen fantasievollen Tabubrüchen über das Liebesleben der Gummibären, Birne, den Kanzler oder der Wahrheit über Hänsel und Gretel brilliert er auch in seinem neuen Buch mit dieser eigenwilligen Mischung aus satirischem Biss und kindlicher Poesie. Seine dicken, aufgedunsenen Dorfbewohner beispielsweise wirken wie menschliche Zerrbilder. Man fühlt sich an all die verstörten Personen erinnert, die in den Romanen Thomas Bernhards in der Enge der Berge dahinvegetieren.
Bei Traxler gibt es immerhin Hoffnung: Das Schwein Emil ist der bessere Mensch, ein empfindsames Geschöpf, das seine Herrin noch liebt, obwohl sie das Tier zur Schlachtbank führen wollte. Eine Botschaft, die das Buch am Ende fast versöhnlich enden lässt. Aber nur fast. Denn einer ist immer der Dumme: Weil Martha und Emil die Lebensmittel an der Decke festzurren, ist am Ende eine Maus das arme Schwein.