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Was die Schriftstellerin gerne von Beruf wäre

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Das Frankfurter Literaturhaus, auch 2016 Ort des gemeinsamen Auftritts der Buchpreis-Nominierten.
Das Frankfurter Literaturhaus, auch 2016 Ort des gemeinsamen Auftritts der Buchpreis-Nominierten. © Andreas Arnold

Nicht so leicht, darüber zu sprechen: Beim Shortlist-Abend im Literaturhaus Frankfurt geht es um perfekte Momente, brave Ultras, sozialunfreundliche Tätigkeiten und die Frage, ob man Interviews geben soll

Der Shortlist-Samstagabend im Frankfurter Literaturhaus handelte zwischendurch immer wieder auch davon, dass es manchmal nicht einfach ist, Schriftsteller zum Reden zu bringen. Moderatorin Sandra Kegel wollte wissen, warum die Geschichten von Reinhard Kaiser-Mühlecker immer in Dörfern spielen. „Weil man sich’s nicht aussuchen kann.“ Ob Philipp Winkler, der in „Hool“ über Hooligans schreibt, selbst einer sei, fragte Alf Mentzer. „Nein.“ Gert Scobel fragte, ob es zu den Tricks gehöre, die Eva Schmidt benutze, wenn sie … „Ich benutze keine Tricks.“

Denn es wurde zum Teil abgewiegelt, zum Teil war die Rede der Autoren Ja und Nein, und schließlich konnte man sich auch anhören, wie gerade das Bedürfnis nach Genauigkeit die einen vielleicht redselig, die anderen hingegen wortkarg macht.

Fünf der sechs letzten Nominierten für den Deutschen Buchpreis, der am 17. Oktober in Frankfurt verliehen wird, waren angereist, ausgerechnet der Frankfurter, Bodo Kirchhoff, war unterwegs. Die zum neunten Mal organisierte Shortlist-Lesung war laut Veranstalter nach Minuten ausverkauft, ist sie doch die einzige Gelegenheit, die sechs bzw. fünf auf einmal zu erleben und sich einen Eindruck davon zu verschaffen, wie schwierig es sein muss, Romane auf einer Skala zu vergleichen, so dass am Ende „der beste“ herausgefischt werden kann. Eigentlich klingt es völlig unmöglich.

André Kubiczek, der in ?Skizze eines Sommers? in der Hauptfigur René selbst auftaucht, erzählte von seiner Überlegung: Warum solle er sich etwas Kompliziertes ausdenken, wenn er von Vertrautem berichten könne. Über die perfekten Momente der eigenen Jugend zu schreiben, sei der Sinn dieses Buches, außerdem sei es vielleicht ein Zeichen der Midlife-Crisis. Scobels Überraschung, dass auch er, Scobel, als Westler, so vieles wiedererkannt habe (inklusive der Playlists), konnte Kubiczek noch trumpfen. Sein Übersetzer ins Griechische habe bereits dasselbe gesagt. Der Sommer ’86 unterscheide sich europaweit anscheinend nicht grundsätzlich, „wenn man die richtige Musik gehört und die richtigen Kleider getragen hat“. Auch beim Vorlesen brachte Kubiczek das Publikum zum Lachen.

Herumtasten im Unbekannten

Reinhard Kaiser-Mühlecker kam mit Blick auf seinen Familienniedergangsroman „Fremde Seele, dunkler Wald“ zu ähnlichen Schlüssen wie Kubiczek: Ein Buch zu schreiben, sei aufwendig genug. Fundiert sei ihm das nur möglich mit bekanntem Terrain als Schauplatz (Oberösterreich). Er schreibe ganz langsam und ohne Plan, wolle auch keinen, verfluche das aber dennoch oft genug. Sein Vorankommen sei ein Vorwärtstasten. „Ich kenne den Raum nicht, habe aber den Eindruck, es gibt ihn.“ Ferner erinnerte er sich an sein erstes Radiointerview. Beim Hören sei er sich so schnell vorgekommen. Die Redakteurin habe ihm gesagt, man habe das „ein bisschen gepitcht“. Es ist zugegebenermaßen ulkiger, wenn der Autor selbst das bedächtig erzählt.

Philipp Winkler erklärte aus seiner Sicht den Unterschied zwischen Hooligans (Fußballfans, die sich für Schlägereien treffen) und Ultras (Fußballfans, die für Stimmung im Stadion sorgen). Auf die Ultras ließ er, selbst „seit immer Fußballfan“, nichts kommen. An Vorfällen sei „meist die Polizei schuld“, etwa durch ihre „aggressive Präsenz“. Die Hooligan-Szene, die ihn seit Jahren interessiere, werde immer älter und sei vom Aussterben bedroht.

Die Österreicherin Eva Schmidt musste wie immer erklären, weshalb sie vor ?Ein langes Jahr?fast zwanzig Jahre lang kein Buch mehr veröffentlicht hatte, bevor im Frühjahr „Ein langes Jahr“ herauskam. Sie sei vielleicht vom Schreiben in die Wirklichkeit geflüchtet, meinte sie. Das Schreiben, fand auch sie, sei sehr anstrengend und verausgabend, dazu mache es sie „nicht eben sozialfreundlich“. Kurzum kümmerte sie sich in der Zwischenzeit um ihre Kinder und hatte auch im vorliegenden Fall nicht vor, ein Buch zu schreiben (ihre Worte). Die um ein Jahr und die Bewohner eines Hochhauses geschlungenen Geschichten, aus denen sich der Roman entwickelt, seien stark aus der Beobachtung entstanden. Sie beobachte immer. „Ich hätte das auch gerne als Beruf.“

Thomas Melle, der schon 2014 hier war, mit ?3000 Euro?,musste darum am längsten warten. Er erzählte, er habe zunächst vorgehabt, keine Interviews zu ?Die Welt im Rücken? zu geben. Dann sei ihm das unlogisch vorgekommen angesichts der Tatsache, dass er dieses eine Mal ganz direkt über sich und seine bipolare Störung (früher sagte man manisch-depressiv dazu) habe schreiben wollen – nicht zuletzt, um das Thema etwas zu enttabuisieren.

So lernte man einiges kennen, fragte sich wie immer, ob Bücher von Zusatzerklärungen flankiert werden sollten, dachte ein letztes Mal uninformiert an Elena Ferrante und interessierte sich trotzdem sehr für alles.

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