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Schreiben, reden, zuhören

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Asli Erdogan nimmt per Videokonferenz an der Leipziger Buchmesse teil.
Asli Erdogan nimmt per Videokonferenz an der Leipziger Buchmesse teil. © Hendrik Schmidt (dpa-Zentralbild)

Eine Bedrängte, ein Wissender, ein Hoffnungsträger: West-östliches auf der Leipziger Buchmesse.

In existenzieller Bedrängnis befindet sich die türkische Journalistin und Schriftstellerin Asli Erdogan, und die Direktschalte auf die trubelige Leipziger Buchmesse mit vielen lustig verkleideten Kindern war schon ein Kontrast. Es gab ihr aber Gelegenheit, sich zu äußern, und da ihr soeben erschienener Essay-Band „Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch“ (Knaus-Verlag) heißt, hat das einiges zu sagen.

Sofern möglich bei der äußerst schlechten Verbindung zum ZDF-Studio in Istanbul, erklärte Erdogan mit bescheidenem Euphemismus, dies sei die schwierigste Phase ihres Lebens, allerdings gehe es allen derzeit angeklagten Autoren und Verlegern in der Türkei so. In einem unverhohlen politisch motivierten Prozess droht Erdogan, die vor wenigen Tagen 50 Jahre alt geworden ist, eine lebenslange Haftstrafe. Ihre Reiseanträge ins Ausland – nach Leipzig, aber auch nach Österreich zu einer Preisverleihung – seien bisher alle abschlägig beschieden worden. Jede Nacht habe sie Angst, dass die Polizei sie holen werde, sagte Erdogan, die bereits monatelang in Untersuchungshaft saß.

Den vielfach gegen Deutschland wiederholten Nazi-Vorwurf ihres Namensvetters, des türkischen Präsidenten, wies sie scharf zurück. „Unser Land nähert sich derzeit weit mehr dem Nationalsozialismus als das heutige Deutschland“, auch wenn sie solche Vergleiche generell nicht schätze. Mit Blick auf das bevorstehende Referendum zeigte sie sich aus demokratischer Sicht pessimistisch. „Man spürt, dass die Öffentlichkeit und auch die eigene Umgebung sich auf ein Ja einstellen.“

„Man kann nicht schreiben, ohne sich die Hand zu verbrennen“, sagte Erdogan, allerdings brenne jetzt auch der Arm, das Haar. Wenn sie aber mit dem Schreiben aufhöre, habe sie nichts mehr. Und: Sie sei nicht allein. Es gebe Menschen in der Türkei, die wie sie an die Demokratie glaubten und sie retten wollten. „Sie wissen im Moment nur nicht, wie sie das machen sollen.“

Sein stupendes Wissen

Beschwingt hatte am Vorabend der französische Schriftsteller Mathias Énard die in diesem Fall in Europa grassierende Ignoranz identifiziert, indem er sein stupendes Wissen ausbreitete. Darauf setzte er: „die Erotik des Wissens“. Und ging in seinem Roman „Der Kompass“ und nun auch in seiner Dankesrede für den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung etwa einer kleinen Geschichte aus dem „Diwan as-Sababah“ von Ibn Abi Hajala nach, die Stendhal einige hundert Jahre später in seinem Text „Über die Liebe“ aufgriff, wo sie Heinrich Heine zu dem (umwerfenden) Gedicht „Der Asra“ inspirierte, welches um 1900 übersetzt in einem bosnischen Lied auftauchte. Eine ost-west-östliche Parabel.

Während mancher sich Europa als „verschlossene Auster“ wünsche, so Énard, gebe es eine endlose Zahl Beispiele „für die kleinen Bäche der östlichen Kulturen, die sich durch ganz Europa ziehen und die europäischen Kulturen bewässern. Für den Anteil der Königstochter Europa aus Sidon – das Andere in uns“. Denn Europa begegnete seinen Zuhörern zur Messeeröffnung im Gewandhaus als jene libanesische Prinzessin, die Gott Zeus entführte. In unsere Landstriche, so Énard, kam sie nie, verbrachte ihr Leben im südöstlichen Mittelmeerraum. „Europa ist eine Ausländerin.“ Énard wurde aber auch ganz direkt. „Können wir nicht anders für Sicherheit sorgen als durch Vorherrschaft und Imperialismus?“ Seine Laudatorin Leyla Dakhli, die ihn 1996 während gemeinsamer Studien in Damaskus kennenlernte, bezeichnete Énard als Menschen, „der imstande ist, die Welt zu bewohnen“.

Das kann man nicht von jedem verlangen, man kann aber von jedem verlangen, solchen Menschen zuzuhören. Die Bücher liegen bereit, auch wenn sich am Donnerstag unter anderem Martin Schulz dazwischenschob, der der Buchmesse einen vielbeachteten und vielfotografierten Besuch abstattete. Man sah einen vergnügt und hellwach wirkenden SPD-Kanzlerkandidaten, der beim Links-Verlag ganz in Ruhe ein kleines Gespräch führte, während es um ihn herum knipste und waberte – alle aber immerhin ganz still, um ein Wort zu erhaschen. Das klappte jedoch überhaupt nicht.

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