„Schöner fremder Klang“ von Claus Schreiner: Als sich mit fremder Musik Geld verdienen ließ

Claus Schreiner erzählt in drei Bänden, „wie exotische Kultur nach Deutschland kam“.
Vor dem Hintergrund der Industrialisierung haben sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die Kultur und ihre Vermarktung neue Wege erschlossen, schreibt Claus Schreiner zu Beginn seines Buchs „Schöner fremder Klang – Wie exotische Kultur nach Deutschland kam“: „Auf einmal lassen sich Kultur und Unterhaltung kommerzialisieren.“ Rund 1900 Seiten in drei Bänden, ein Reichtum an Aspekten – es handelt sich um einen umfassenden Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte, fast schon um ein Standardwerk.
Die Anfänge mit „Völkerschauen“ im Kaiserreich waren von einem deutlich rassistisch-kolonialistischen Blick geprägt. Um die Wende zum 20. Jahrhundert gelangten Tänze und Rhythmen wie Cakewalk, Ragtime, Jazz und Charleston auf der Achse Paris – Berlin nach Deutschland, Zeugnisse einer damals noch jungen afroamerikanischen Unterhaltungsmusik.
Zu dem Terminus „kulturelle Aneignung“, einem Schlagwort im gegenwärtigen Diskurs, hält Claus Schreiner, Jahrgang 1943, Musikpublizist wie auch Gründer des Marburger Verlags und Labels „Tropical Music“, Distanz. Zum „Gegenbeweis wider ein erbsenzählerisches Obduzieren“, polemisiert er, wolle er Querverbindungen zwischen den Kontinenten aufzeigen. Dabei kehrt er seriöserweise auch die wirtschaftlichen Aspekte des Themas nicht unter den Tisch. Nach wie vor hat die traditionelle Musik nach internationalem Urheberrecht einen Status als „Public Domain“, als ungeschützte und „klaufähige“ Folklore – jeder kann die Melodie eines Volksliedes nehmen und sich auch bei nur geringfügiger Bearbeitung als Urheber oder Urheberin eintragen lassen – und kassieren.
Sting und „seine Indianerfreunde“, so Schreiner süffisant mit einem heute als fragwürdig inkriminierten Begriff, hatten sich nach einem Bericht des brasilianischen Wochenmagazins „Veja“ 1993 zerstritten. Vier Jahre zuvor hatte der englische Popmusiker gemeinsam mit dem Kaiapó-Anführer Raoni Metuktire seine Stiftung für den Erhalt des Regenwalds promotet. Später beschwerte sich Sting darüber, dass Indios das Abholzen des Regenwalds erlaubten: „Die Indios verarschen dich die ganze Zeit. Sie sehen die Weißen eher als Geldquelle denn als Freunde.“ Die Replik Metuktires: „Er ist es, der viel Geld auf meine Kosten gemacht hat. Der brasilianische Indio braucht ihn nicht.“
Im Umgang mit fremden Kulturen, heißt es mit Blick auf den Nationalsozialismus, glichen sich alle totalitären Staaten. Im Vordergrund stehe eine Überbetonung vorgeblich nationaler Werte, was auch für kommunistische Regime gelte. Nicht so durchgreifend wie Werke jüdischer Künstler und Künstlerinnen ließ sich der Jazz seiner Beliebtheit im jüngeren Teil der Bevölkerung wegen verbieten; es herrschte ein Wirrwarr von Verboten und Duldungen.
Die Bücher
Claus Schreiner: Schöner fremder Klang – Wie exotische Musik nach Deutschland kam. Band 1: Ragtime, Tango, Rumba & Co. 1855–1945. Band 2: Samba, Mambo Bossa & Co. 1945 – 1975. Band 3: Afrobeat, Salsa, Reggae & Co. 1975 – 2000. J. B. Metzler 2022 – zusammen 1911 Seiten, jeder Band kostet 29,90 Euro.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte im Zusammenspiel mit dem neuen Massenphänomen Pauschaltourismus rasch das „Geschäft mit den exotischen Trugbildern“ ein. Verflacht und verfälscht, fast durchweg von Deutschen gespielt, die sich mit mexikanischen Hüten und ähnlichem verkleideten. Einen Pionierstatus für eine echte Auseinandersetzung mit transozeanischen Musikkulturen schreibt Schreiner hingegen Krautrockbands wie Embryo und den Dissidenten sowie Musikern und Musikerinnen aus dem Jazz zu.
Als Mitte der 80er Jahre „Weltmusik“ als Marketinglabel erfunden wurde, hing deren Akzeptanz von Faktoren wie romantisierender oder akademischer Verklärung oder auch esoterischen Bestrebungen ab. Eingehend betrachtet der Autor das Phänomen des immensen Erfolgs von „Buena Vista Social Club“. Er zitiert Stimmen, denen zufolge Wim Wenders’ Film (1998/99) wie die Platte einen nostalgisch-klischeehaften touristischen Blick auf die Musik der alten Legenden sowie die Straßen Havannas warfen.
Unter der Überschrift: „Global Divas“ widmet Schreiner ein Kapitel weiblichen Stars, die in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts anders als Vorgängerinnen wie Carmen Miranda oder Yma Sumac nicht mehr als exotische Showattraktionen in Hollywood oder am Broadway geformt wurden. Bei Musikerinnen wie Miriam Makeba, Mercedes Sosa und Cesária Evora habe es sich um Frauen gehandelt, die „Selbstbestimmung vorleben, ohne die Flagge des Feminismus zu hissen“.
Man erfährt viel über die Kulturgeschichte und die politische Entwicklung in den Herkunftsländern, etwa auch der postkolonialen afrikanischen Staaten von den 60er Jahren an.
Dass Schreiner den US-amerikanischen Minimalismus in einem Atemzug mit Kitaro unter „New Age Klänge“ einordnet, geht zwar an der Sache vorbei, doch das ist ein seltener Lapsus – ebenso wie die pauschale Aburteilung von Disco, nicht anerkennend, dass hinter merkantilem Flachsinn ursprünglich eine afroamerikanisch/queere Subkultur in New York stand. Fragwürdig auch die ästhetisch konservative, pauschale Abqualifizierung neuerer Tendenzen des Global Pops mit seinen elektronischen Beats, der das Sammelgebiet „Weltmusik“ erledigt hat. Den Wert dieser drei Bände schmälert das nicht.