1. Startseite
  2. Kultur
  3. Literatur

Ronnie Spector: „Be My Baby“ – Die Nacht, in der wir uns trafen

Erstellt:

Von: Christina Mohr

Kommentare

Ronnie Spector (1943-2022).
Ronnie Spector (1943-2022). © Getty Images via AFP

Leben mit Paradoxen und später auch einem Mann, der nicht verrückt war: „Be My Baby“, die Autobiografie der Sängerin Ronnie Spector.

Bum-da-bum-tchak, bum-da-bum-tchak: Nicht nur wegen seines unverwechselbaren Auftakts gilt „Be My Baby“ aus dem Jahr 1963 als einer der besten Popsongs aller Zeiten. Als der junge Produzent Phil Spector die Komposition von Ellie Greenwich und Jeff Barry zum ersten Mal hörte, beschloss er, dieses Stück mit den Ronettes aufzunehmen. Die dreiköpfige Girlgroup aus East Harlem, Manhattan, hatte in den frühen sechziger Jahren bereits einige Hits gehabt, doch der große Durchbruch stand noch aus. Spector sah und hörte das Potenzial des Trios vor allem in der rauen Stimme und dem Performance-Talent von Veronica „Ronnie“ Bennett, in die er rein zufällig wahnsinnig (dieser Begriff wird schon bald eine tiefere Bedeutung bekommen) verknallt war.

Ronnie, Schwester Estelle und Cousine Nedra Talley inszenieren sich als tougher Gegenentwurf zu Girlgroups wie The Crystals oder The Shirelles, die sie viel zu brav finden. Für Ronnie kann die Mascara gar nicht dick genug aufgetragen sein, Kleider müssen so eng wie möglich sitzen, die Haare zu einem Beehive „bis an die Decke“ toupiert werden – Amy Winehouse wird Jahrzehnte später den typischen Ronettes-Style in die Neuzeit überführen.

Zurück ins Jahr 1963: Nach mehr als 40 „takes“ im Studio war „Be My Baby“ endlich im Kasten, die Verwirklichung von Spectors Vision einer „Wall of Sound“, die die Stimmen der Sängerinnen geradezu außerweltlich klingen ließ. Der Song stürmte die Charts in den Vereinigten Staaten und Großbritannien, The Ronettes wurden Weltstars mit zahlreichen Hits, verehrt von den Beatles und von den Rolling Stones, wie Keith Richards in seinem liebevollen Vorwort betont. Doch an „Be My Baby“ kam kein anderes Stück heran. Nachvollziehbar also, dass die vor gut einem Jahr gestorbene Ronnie Spector ihre gerade noch vollendete Autobiografie nach diesem Song benannte. „Be My Baby“ bestimmte ihr Leben, im Guten wie im Schlechten.

Das BUch

Ronnie Spector / Vince Waldron: Be My Baby. Mein Leben. A. d. Engl. von Alan Tepper. Hannibal, Höfen 2022. 408 S., 27 Euro.

Als Ronnie und Phil 1968 nach fünf Jahren On-and-Off-Beziehung heiraten, ahnt Ronnie womöglich schon, dass die Zukunft mit dem durchgeknallten Producer-Genie Spector nicht einfach werden wird. Schon oft hatte sie Kostproben seines Kontrollwahns und seiner Eifersucht erleben müssen: Ronnie beschreibt, wie Spector vor Wut Studioräume verwüstete, weil sie und Nedra mit Sonny Bono, der nebenan mit Cher Songs aufnahm, Burger holen gingen und sich nicht bei Phil abgemeldet hatten.

Die Schilderungen des Ehelebens mit Spector sind wahre Alpträume aus Unterdrückung, Gewalt und Irrsinn, die darin gipfeln, dass Phil ihr zu Weihnachten ein adoptiertes Baby „schenkt“, weil Ronnie mehrere Fehlgeburten erlitten hatte. Nach Jahren der Gefangenschaft im goldenen Käfig befreit sich Ronnie mit Hilfe ihrer Mutter – warum sie den Namen Spector niemals ablegt, gehört zu den vielen Widersprüchlichkeiten ihrer Biografie.

So ist es schwer begreiflich, dass Ronnie nach der Trennung von Phil trotz vieler Anläufe nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen konnte. Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass Ronnie sich zu schnell von den Ideen anderer überzeugen ließ, Musik aufnahm, zu der sie nicht wirklich stand. Dass sie dennoch zur Pop-Ikone wurde, deren Einfluss bis heute nachwirkt, und auch privat ihr Glück mit einem nicht verrückten Mann und (eigenen) Kindern fand, gehört zu den schönen Paradoxien dieses unvergleichlichen Rock’n’Roll-Lebens.

Auch interessant

Kommentare