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Riku Onda „Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen“: Unter der Oberfläche der Erinnerung

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Von: Sylvia Staude

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Ihre letzte gemeinsame Reise ist eine Wanderung in den Bergen.
Ihre letzte gemeinsame Reise ist eine Wanderung in den Bergen. © imago/blickwinkel

Riku Ondas schwebender Roman „Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen“.

Die japanische Schriftstellerin Riku Onda ist eine Meisterin der Andeutung, des Enthüllens und wieder Verschleierns. Immer wieder muss die Leserin, der Leser eigene Schlüsse ziehen, aber schon ein Kapitel weiter ist erneut der Zweifel an diesen Schlüssen geschürt. Aus allerlei subjektiven Perspektiven erzählt Riku Onda den im vergangenen Jahr auf Deutsch erschienenen Kriminalroman „Die Aosawa Morde“. Aus nur zwei unterschiedlichen Perspektiven erzählt sie „Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen“, einen im Original bereits 2007 erschienenen Roman, der sich ganz am Rand des Genres bewegt.

Es ist eine regelmäßig zwischen einem jungen Mann, Chihiro Takakashi, und einer jungen Frau, Chiaki Fujimoto, springende Ich-Erzählung in 26 relativ kurzen Kapiteln. Der Mann und die Frau treffen sich ein letztes Mal in der Wohnung, in der sie gelebt haben. Sie sind bereits entschlossen, sich zu trennen (sie sind ein Paar, sie sind eigentlich kein Paar), sie haben die Wohnung weitgehend leer geräumt. Es ist nicht allzu lange her, dass sie wandern waren in den S-Bergen, als letzte gemeinsame Reise, sie haben sich dafür unter falschem Namen einen erfahrenen Bergführer engagiert. Der freilich, sie rasteten gerade, von einer Klippe gestürzt und ums Leben gekommen ist. War es ein Unfall? Oder hat einer von den beiden den Bergführer ermordet? Oder hat dieser Suizid begangen, aus welchem Grund auch immer?

Der junge Mann nimmt sich für diese letzte Nacht zusammen vor – aber ob er es schafft: „Sie dazu zu bringen, zuzugeben, dass sie den Mann ermordet hat?“ Die junge Frau hat im Hinblick auf dieses letzte Treffen die Befürchtung: „Er hat diesen Mann in den Tod geschickt, und heute Nacht wird er mich töten.“

Die beiden stellen sich Fragen. Beobachten sich. Erinnern sich. Oft erinnern sie sich auch, ohne den anderen einzubeziehen. Manchmal versuchen sie, die Dinge mit Hilfe der Erinnerung des anderen zu klären. Manchmal ist ihnen ganz unbegreiflich, was ihr Gegenüber glaubt, erfahren oder gesehen zu haben. Als sie beide noch klein waren, ist da nicht ein Kind in eine Baugrube gefallen, tödlich verunglückt? Aki glaubt, ihre Schuldgefühle könnten daher kommen – aber welche Schuld könnte sie haben? Beide sind verunsichert. „Jetzt liegt alles, was ich mit ihr zusammen erlebt habe, wie Scherben durcheinander vor mir.“

War der Bergführer einfach unachtsam? Oder ist er abgestürzt, weil Chiaki während der Rast an einem besonders schönen Aussichtspunkt und während der Bergführer angeblich etwas zu erledigen hatte, am Rand der Klippe als seltsam meditative Beschäftigung Grashalme zusammengebunden hat? Kann jemand über zusammengebundene Grashalme stolpern, konnte Aki damit gerechnet haben und ist tatsächlich verdächtig? Oder doch eher Chihiro, denn wo ist sein Klappmesser hingekommen? Und hat der Bergführer, der einst seine Familie in der Stadt verließ, geahnt, vielleicht sogar gewusst, dass die zwei seine Kinder sein könnten? Dass jedenfalls der junge Mann sein Sohn sein könnte?

Das Buch:

Riku Onda: Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen. Roman. A. d. Jap. v. Nora Bartels. Atrium 2023. 240 S., 22 Euro.

„Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen“ ist ein Roman, der am besten mittels Fragen beschrieben werden kann, Fragen, die am Ende zum größten Teil offen bleiben werden.

Er ist andererseits ein Roman über die Liebe und ihre Vergänglichkeit, denn die beiden jungen Leute, die Abschied nehmen, haben sich geliebt, obwohl sie annehmen mussten, dass sie Bruder und Schwester sind. Dann suchten sie nach einem Weg, voneinander loszukommen. Dann beginnen sie daran zu zweifeln, dass sie sich noch lieben.

Chihiro und die adoptierte Chiaki kennen sich schon aus dem Sandkasten. Als sie sich in einem Tennisclub zufällig wiederbegegnen, fühlt es sich vertraut an. Chiaki hat einen Freund, erfolgreich und attraktiv, aber sie tut nur so, als liebe sie ihn – und er merkt es irgendwann. Chihiro lernt Misako kennen, einen anderen Typ Frau, „geradlinig und wild“. Misako wird sein „Zufluchtsort“. Als er sich in der Nacht, in der der Roman spielt, mit Aki ein letztes Mal trifft, ist der Plan weit gediehen, wonach er mit Misako zusammenziehen wird.

„Im echten Leben enden die Dinge selten dramatisch.“ Mit diesem Satz versucht sich Chiaki zu beruhigen, aber kann sich die bange, auf eine Auflösung wartende Leserin darauf verlassen? So wie Sonnensprenkel auf dem Wasser ihre Gestalt beständig verändern und einen zweifeln lassen, ob hier unten gerade ein Fisch vorbei geschwommen ist, ob dort eine Wasserpflanze sich wiegt, oder ob das reflektierende Licht einen nur getäuscht hat, so funkelt dieser Roman, verweigert Riku Onda die meisten Gewissheiten in einer vielschichtigen, rätselhaften, sprachlich zarten Erzählung.

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